Länger leben dank Gottes Segen?
Nonnen und Mönche leben länger als die normale Bevölkerung. Die Religion ist dafür aber wohl allenfalls indirekt verantwortlich.
Gäbe es ein Patentrezept, um gesund uralt zu werden, die orthodoxen Mönche auf dem griechischen Berg Athos wären wohl im Besitz der Zutaten. Über einen Zeitraum von 13 Jahren nahm Haris Aidonopoulos von der Universität Thessaloniki die Gesundheit der 1.500 frommen Ordensmänner unter die Lupe und stellte dabei Erstaunliches fest: Nur elf Mönche litten an Prostatakrebs – ein Bruchteil der landesweiten Rate. Auch Herzkrankheiten, Parkinson oder Alzheimer waren äußerst selten, das Auftreten von Lungen- oder Darmkrebs tendierte gar gegen Null.
Die Ursache sieht der Forscher im obersten Lebensziel der Mönche: Gott ohne weltliche Einflüsse so nahe wie möglich zu kommen. So gibt es hinter den Klostermauern weder Fernseher noch Radio, weder Fitnessstudio noch Frauenbesuche. Auch moderne Supermarktkost hat hier nichts verloren. Stattdessen auf dem Speiseplan: zwei zehnminütige Mahlzeiten am Tag, mit selbst angebautem Obst und Gemüse, mit Fisch statt Fleisch, Kräutern statt Salz, Olivenöl statt Butter. Tischgespräche während des Essens? Tabu. Man betet im Stillen und lauscht rezitierten Bibelversen.
Klosterbewohner leben länger
Klöster sind ein Mikrokosmos, in dem viele gesundheitsfördernde Faktoren zusammenkommen: Kaum Stress, dafür geregelte Tagesabläufe und kontinuierliche Lebensläufe. Geistige Fitness durch das ständige Lesen in der Bibel, kein Alkohol, keine Zigaretten. Die Folge: Mönche und Nonnen haben eine höhere Lebenserwartung, wie der Bevölkerungswissenschaftlers Marc Luy mit seiner Klosterstudie nachweisen konnte. Im Schnitt lebten die untersuchten Mönche vier bis fünf Jahre länger als Ottonormalbürger.
Doch wie sieht es außerhalb der Klostermauern aus? Leben fromme Menschen generell länger als unreligiöse? Forscher wie Harold Koenig bejahen das. Der Psychiater und Leiter des Center for Spirituality, Theology and Health an der Duke University im Bundesstaat North Carolina war einer der ersten, der dem Zusammenhang von Religiosität, Gesundheit und Lebenserwartung nachging. Etliche Studien untersuchten er und sein Forscherteam, und egal, welchem Aspekt sie nachgingen, ob Wohlbefinden, Drogenmissbrauch, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Angststörungen oder Depressionen: Mehrheitlich erwiesen sich die gläubigen Probanden als körperlich und psychisch gesünder.
Studie attestiert Kirchgängern höhere Lebenserwartung
Auch eine Langzeituntersuchung der Harvard School of Public Health in Boston bescheinigt regelmäßigen Kirchgängern eine höhere Lebenserwartung. Von den mehr als 74.000 Teilnehmerinnen im Alter von durchschnittlich 60 Jahren hatten Frauen, die mehr als einmal pro Woche einen Gottesdienst besuchten, ein um ein Drittel geringeres Sterberisiko als diejenigen, die nicht religiös waren. Unterm Strich lebten die Kirchgänger ein halbes Jahr länger.
Alles nur Zufall? Vielleicht. Allerdings kommt laut Koenig bei religiösen Menschen eine Vielzahl positiver Umstände zusammen. Zum einen die feste Gemeinschaft, die den Menschen bis ins hohe Alter aktiv einbezieht, tröstet und auffängt. Werte wie Nächstenliebe verbessern die Beziehung zu Freunden und innerhalb der Familie. Studien attestieren Gläubigen zudem eine größere Zufriedenheit in der Ehe, eine niedrigere Scheidungsrate und weniger Alterseinsamkeit. Und nicht zuletzt wirken sich religiöse Ernährungsregeln positiv aus. Juden und Muslime essen kein Schweinefleisch, Hindus kein Rind. Der übermäßige Konsum von Alkohol, Drogen und Zigaretten ist in den meisten Weltreligionen verpönt oder gar verboten.
Religion als Placebo?
Eine Rolle spielt womöglich auch das, was man als „Placeboeffekt des Glaubens“ bezeichnen könnte. Religionswissenschaftler nennen dies „religiöses Coping“ – eine Alltagsbewältigungsstrategie, die viel schädlichen psychischen Stress absorbieren kann. Menschen, die an einen gütigen Gott glauben, fühlen sich aufgehoben und beschützt. Verluste, Gebrechen, Angst vor dem Tod: Durch das Grundvertrauen in eine höhere Macht werden Gläubige mit den Bedrohungen des Alltags besser fertig. Im Idealfall stiftet der Glaube Sinn und gibt Stabilität. Das entlastet die Seele enorm und kann durchaus die Anfälligkeit für Depressionen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen mindern.
„Die Verantwortung jedoch gänzlich abzugeben, nur zu beten und zu denken, ‚Gott wird’s schon richten‘, führt nicht ans Ziel“, sagt Sebastian Murken von der Universität Marburg. Der Mensch müsse schon selbst aktiv werden. Und: Religion könne der Gesundheit durchaus auch abträglich sein. In einer Studie mit Brustkrebspatientinnen konnte der Religionswissenschaftler zeigen, dass es jenen, die sich fragten, warum Gott das zulasse, deutlich schlechter ging. Es komme daher immer darauf an, ob man seinen Gott als gut oder strafend interpretiere, so Murken.
Nicht der Glaube an sich, sondern die Lebensweise ist entscheidend
Der Wissenschaftler ist deshalb überzeugt: Eine positive Wirkung hat weniger der Glaube an sich, als vielmehr die damit verbundenen Rituale und Praktiken. „Religion ist dann gesund, wenn sie uns zu einem gesünderen Leben anhält“, sagt Murken. Und dafür müssen die Menschen nicht Mitglied einer Glaubensgemeinschaft sein. Gesunde Rituale wie Fasten, Yoga oder Meditation kommen ganz ohne einen Gott aus. Und ins Kloster muss dafür auch niemand.