Älterwerden

01.03.2019

Die zweite Lebens­hälfte ist die bes­sere

In ihrem neuen Buch „Die bessere Hälfte“ nehmen Fernseharzt Eckart von Hirschhausen und sein Kollege Tobias Esch das Älterwerden unter die Lupe. Ihr Fazit: Keine Panik!

© Camillo Wiz

Eckart von Hirschhausen und Tobias Esch nehmen das Älterwerden unter die Lupe.

Eckart von Hirschhausen hat’s im Knie, Tobias Esch braucht seine Gleitsichtbrille immer griffbereit. Ja, so ist das in der Lebensmitte, da zwickt und zwackt es schon mal. Immerhin sind beide zusammen 99 Jahre alt. Trotzdem haben sie ein zutiefst positives Buch über das Älterwerden geschrieben. Basierend auf Studien der Altersforschung und persönlichen Begegnungen mit älteren Menschen. Ihre beruhigende Erkenntnis für all jene, die am Scheideweg zwischen „jung“ und „nicht mehr ganz so jung“ stehen: Ist das „Tal der Tränen“, die Midlife-Crisis, erst einmal überstanden, setzt ein fundamentaler Wandel ein. Eine Zeit, die kein „schwarzes Loch“ sein muss, sondern erfüllend, heiter und bunt sein kann. Angst ist dabei fehl am Platz. Vielmehr sollten wir uns öfter etwas gönnen, dass mit dem Älterwerden auf den ersten Blick nichts zu tun hat: Vorfreude. Schon aus diesen vier Gründen:

1. Das Alter ist viel besser als sein Ruf

Das Alter braucht ganz dringend einen Imagewandel, finden von Hirschhausen und Esch. Zu viele Irrtümer geistern hier herum. Denken vor allem Jüngere an die Zeit jenseits der 50, hören sie nicht selten schon Treppenlifte surren und das jahrelange Siechtum an der Haustür klopfen. Völliger Unsinn. „Dieses Bild überlagert all die guten Jahre“, sagt von Hirschhausen. Ein heute 65-Jähriger ist genauso fit wie ein 55-Jähriger vor 20 Jahren. Wissen und Erfahrung, Weitsicht und kristalline Intelligenz, Zufriedenheit und Gelassenheit – nur einige von vielen Qualitäten, die mit den Jahren zunehmen.

Im kollektiven Gedächtnis spielen sie jedoch kaum eine Rolle. Wie bei einer selbsterfüllenden Prophezeiung warten wir nur darauf, dass alles schlechter wird. Verhageln uns mit „veralteten“ Vorstellungen selbst die Zeit auf Erden. Dabei kann sich eine relaxtere Sicht auf die zweite Lebenshälfte sogar finanziell auszahlen, wissen die Autoren aus der Altersforschung: Denn wer positiv ist und bleibt und etwas vom Leben erwartet, sorgt schon in jüngeren Jahren besser für das Alter vor.

2. Glückskurve steigt im Alter wieder an

Einer der größten Mythen über das Alter: Glück und Zufriedenheit machen sich mit jedem Lebensjahr ein Stück mehr aus dem Staub. Kann ja nicht anders sein. Falten, Geheimratsecken, Zipperlein. Doch das Gegenteil ist der Fall. „Wenn wir uns die Zufriedenheitskurve im Lebensverlauf ansehen, dann hat sie zwei Pfeiler an den beiden Ufern – Jugend und Alter –, und dazwischen gibt es eine Hängebrücke, die Hängepartie der Lebensmitte“, so von Hirschhausen. Nicht wenige Menschen empfinden im Alter sogar mehr Glück als in jungen Jahren.

„Zufriedenheitsparadoxon“ nennt das die Wissenschaft, oder – nach von Hirschhausens medizinischem Co-Autor Esch – das „Glück A, B und C“. Typ A empfinden wir in der Jugend: Aufbruch, Freiheit, die erste Liebe, der erste Job. Ein wahrer rausch an Glücksmomenten. Dann kommt die „Rushhour des Lebens“ und mit ihr das Glück vom Typ B: das Durchatmen nach einem stressigen Arbeitstag, die Freude, trotz nächtlichem Babygeschrei, fünf Stunden Schlaf zu bekommen, der Einzug nach einem nervenaufreibenden Häuslebau. Und schließlich das große C-Glück. Das Gefühl angekommen zu sein, innerer Frieden, eine neue Freiheit. Übrigens: Dieser Zufriedenheitsdreiklang ist evolutionär und biologisch festgelegt. Was wir aus der „Werkseinstellung“ im Alter machen (können), liegt zum Teil an unseren Lebensumständen. Mehr noch aber an unserer inneren Einstellung und der Fähigkeit, durch einen aktiven Lebensstil die Glückmomente herauszufordern.

3. Der Mensch hat ein dickes Fell

Man darf nichts schönreden: Die Wahrscheinlichkeit, dass einem im Alter ernste Gebrechen heimsuchen, ist größer als in jungen Jahren. Doch ein unglückliches Dasein muss das noch lange nicht bedeuten. „Wir konnten genau den gegenteiligen Verlauf ablesen! Während die körperliche Gesundheit nachlässt, steigt das psychisch-mentale Wohlbefinden“, weiß Altersforscher Esch. Studien zeigen, dass selbst 90-Jährige mit fünf Diagnosen und sechs Medikamenten auf dem Nachttisch von hoher Lebenszufriedenheit berichten. Denn im Alter und mit reichlich Lebenserfahrung relativiert sich vieles. Natürlich gibt es unglückliche Momente, aber gleichzeitig sind viele Ältere – in der Gesamtschau – trotzdem zufrieden. Selbst Bildung und die finanzielle Lage, abgesehen von Armut, haben weniger Einfluss auf das Wohlbefinden als gedacht.

Verantwortlich dafür, dass wir Stehaufmännchen sind, ist wiederum die Evolution. Denn sie hat uns das Werkzeug der Resilienz in die Hand gegeben. Die psychische Widerstandsfähigkeit gegen schwierige Lebenssituationen wie Krankheiten oder den Verlust des Partners. Bestes Beispiel: der Physiker Stephen Hawking, der jahrzehntelang an einer unheilbaren Nervenerkrankung litt. Völlig bewegungsunfähig ging er das Leben trotzdem mit Humor an, hatte Ziele, arrangierte sich. Und wurde – entgegen aller Prognosen – 76 Jahre alt.

4. Leidenschaft schafft Lebenszeit

Das beste Anti-Aging-Mittel für von Hirschhausen und Esch: neugierig und motiviert bleiben, weiterhin seinen Beitrag leisten, das Abstellgleis links liegen lassen. Mit der Rente in allen Bereichen den Hammer fallen zu lassen, sei nicht nur langweilig, sondern auch der Langlebigkeit nicht gerade zuträglich. Studien zeigen immer wieder: Erhält man sich seine Leidenschaften – von Tanzen bis Wissensdurst – zahlt sich das in der zweiten Lebenshälfte aus und kann zum Beispiel das Demenz-Risiko mindern.

Eric Kandel, US-amerikanischer Neurowissenschaftler und in Sachen Älterwerden ein Vorbild für Esch und von Hirschhausen, macht es vor. Statt auf dem Sofa sitzt er jeden Tag am Schreibtisch und versucht, das Rätsel um Alzheimer zu knacken. Mit 89 Jahren. „Eric Kandel ist wohl auch deshalb so jung geblieben, weil er tut, was er tut, um ‚um des Tuns willen‘“, vermutet Esch. Man altert eben oft so, wie man gelebt hat.