Essgewohnheiten

10.04.2022

Wie ein neues Lebens­mit­te­le­ti­kett unsere Ernäh­rung ver­bes­sern soll

Ungesundes Essen kostet viele Menschenleben. US-Forscher wollen das ändern. Ihre Idee: die Angabe des Lebenszeiteffekts auf jeder Nahrungsmittelverpackung.

© happy_lark / Getty Images/iStockphoto

Verhaltensforscher glauben, das weniger Menschen zu ungesunden Lebensmitteln greifen würden, wenn sie deren negative Wirkung auf die Lebenszeit kennen würden. 

Für seinen Dokumentarfilm „Super Size Me“ (2004) unterzog sich Morgan Spurlock einem kalorienreichen Selbstexperiment. Einen Monat lang aß der US-Regisseur täglich bei einer Fast Food-Kette. Die Speisekarte rauf und runter – sonst nichts. Beim Arzt zeigten sich am Ende die Folgen der Völlerei: Elf Kilo hatte er zugenommen, Leber und Nieren ging es schlecht, der Cholesterinspiegel war stark erhöht, das Risiko für einen Herzinfarkt hatte sich verdoppelt. Innerhalb von kurzer Zeit war der recht fitte Mann Mitte 30 um Jahre gealtert.

Das ist natürlich ein Extrembeispiel. Aber es warnt davor, dass uns Nahrung nicht nur den Hunger nimmt, sondern unter Umständen auch unsere Gesundheit und wertvolle Lebenszeit. Mehr als vier Jahre – so viel kostet Übergewicht im Durchschnitt. Jeder zweite Todesfall durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen – nämlich 160.000 – geht in Deutschland jährlich auf das Konto von schlechter Ernährung, wie eine Studie der Universität Halle ergab.

Menschen essen zu viel Zucker, Salz und ungesundes Fett

Das Problem? Zu hoher Fleisch- und Wurstkonsum, zu viele Fertigprodukte und damit zu viel Salz, Zucker, ungesundes Fett oder vitalstoffarmes Weißmehl. Statt der empfohlenen Tagesration von 50 Gramm Zucker konsumiert der Durchschnittsdeutsche fast das Doppelte. Ähnlich sieht es bei Salz aus. Doch wer weiß schon, dass man mit einem großen Becher Fruchtjogurt und einer Tütensuppe bereits die unbedenkliche Zucker- und Salzmenge intus hat? Wohl die wenigsten. Denn vieles davon versteckt sich in langen Zutatenlisten.

Für Forscher der University of Michigan ist daher klar: Es muss etwas her, das den Menschen die Güte oder Schädlichkeit von Nahrungsmitteln eindrücklicher vor Augen führt, als es die schon existierenden Lebensmittelampeln, wie der sogenannte Nutri-Score, oder die Nährwerttabelle tun . Ihr Vorschlag: die Lebenszeit.

Forscher berechnen Lebenszeiteffekt für 5800 Lebensmittel und Gerichte

In einer neuen Studie nahmen sie sich über 5800 Lebensmittel, Gerichte und Getränke vor und berechneten, was – gemessen an normalen Portionen – wie viel gesunde Lebenszeit bringt oder eben raubt. Äpfel zum Beispiel liefern demnach pro Tag zusätzliche 18 Minuten, Hülsenfrüchte zehn Minuten, Fisch und anderes Meeresgetier rund fünf Minuten. Für Verluste sorgen dagegen unter anderem Cola (-12 Minuten), Burger (-7 Minuten), Chicken Wings (-3,3 Minuten) und Apfelkuchen (-1,3 Minuten).

Diese Zeitangaben – natürlich nur Richtwerte – orientieren sich dabei an den Inhaltsstoffen und wie diese auf die Gesundheit einwirken. Der Hotdog, einer der größten kulinarischen Lebenszeitkiller (-36 Minuten), besteht aus industriell erzeugter Wurst mit viel Salz und gesättigten Fettsäuren. In Brötchen, Ketchup und Röstzwiebeln stecken zudem reichlich Zucker, Transfette und „leere“ Kohlehydrate. Das alles zusammen kann das Risiko für Typ 2-Diabetes, Übergewicht, Krebs, Arteriosklerose und Gefäßschäden erhöhen.

Naturbelassene Nüsse verlängern das Leben am meisten

Ganz anders naturbelassene Nüsse, die laut der US-Studie die gesunde Lebenszeit steigern wie kaum etwas anderes (+26 Minuten). Denn die darin enthaltenen ungesättigten Fettsäuren, Ballaststoffe und das Eiweiß unterstützen die Zellteilung, sind an der Bildung von Hormonen beteiligt, wirken entzündungshemmend und senken den „schlechten“ LDL-Cholesterinspiegel. 

Den Forschern zufolge kann daher auch ab und zu „gesündigt“ werden, da sich das Lebenszeitkonto schon durch kleine Veränderungen wieder auffüllen lässt. Um 48 Minuten zu gewinnen, reicht es demnach beispielsweise aus, rund zehn Prozent der täglichen Kalorienzufuhr aus ungesunden Lebensmitteln wie Salami, Chips oder Tiefkühlpizza zu ersetzen. Durch frisches Obst und Gemüse, Vollkorngetreide und Samen, Pflanzenöle und Fisch.

Ernährungsumstellung bringt auch noch etwas im Alter

Ergebnisse anderer Studien bestätigen die beachtliche Wirkung der Ernährungsumstellung: Ein Umstieg auf hauptsächlich pflanzliche Kost verjüngt auf genetischer Ebene; Senioren, die von Fleisch auf Fisch wechseln und damit viele Omega-3-Fettsäuren zu sich nehmen, leben im Schnitt 2,2 Jahre länger.

Der Fastfood-Selbstversuch von Morgan Spurlock wurde übrigens unter wissenschaftlichen Bedingungen wiederholt. Den Probanden, kerngesunden Studenten, erging es dabei haargenau wie dem Filmemacher. Danach ernährten sie sich wieder abwechslungsreich – und siehe da: Die Pfunde purzelten und die körperlichen Schäden verschwanden.