Wie Bildung die Lebenserwartung beeinflusst
Gute Noten in der Schule erhöhen die Chancen auf ein langes Leben. Die Gründe sind dafür vielfältig.
Wenn man die Lebenserwartung als wichtige Sache begreift, dann beginnt mit der Schule tatsächlich der Ernst des Lebens. Für die guten Schüler öffnet sich im Anschluss nicht nur die Tür zu Studium, attraktivem Job und Gehalt. Sie erwartet auch ein deutlich längeres Leben als diejenigen mit schlechten Noten. „Menschen mit geringem Bildungsniveau haben eine signifikant niedrigere Lebenserwartung als gut Gebildete“, sagt Marc Luy, Demograph vom Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Wie groß die Lücke ist, zeigen beispielsweise Zahlen aus Österreich: 35-jährige Männer mit Hochschulabschluss können dort im Schnitt mit 84,2 Jahren rechnen, jene mit Pflichtschulabschluss, vergleichbar mit dem deutschen Hauptschulabschluss, hingegen nur mit 76,6 Jahren. Ähnlich ist das Bild bei den Frauen: Die Lebenserwartung von 35-Jährigen mit Pflichtschulabschluss liegt im Schnitt bei 82,7 Jahren – und damit gut vier Jahre unter der von Akademikerinnen.
Ein Riss geht durch Deutschland
Auch wenn für Deutschland genaue Daten fehlen, die Tendenz ist ähnlich: Die Bevölkerung driftet in puncto Lebenserwartung auseinander. Für ein Land, das sich gleichwertige Lebensverhältnisse als Ziel in die Verfassung geschrieben hat, ist die Entwicklung fatal. Denn das Thema birgt sozialen Sprengstoff: Die Spreizung in der Lebenserwartung hat beispielsweise unterschiedlich lange Rentendauern zur Folge.
„Menschen mit höherem Bildungsniveau und früherer Erwerbstätigkeit erhalten nicht nur höhere jährliche Renten, sondern haben auch eine höhere Lebenserwartung und mehr Jahre, in denen sie Renten beziehen“, sagt Jiaxin Shi vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock, der in einer Studie das Phänomen der Rentenungleichheit am Beispiel Schwedens untersucht hat. Die Unterschiede seien auch mit ein Grund dafür, warum die soziale Ungleichheit über Generationen hinweg fortbesteht. Denn wer länger Rente bezieht, kann auch seine Kinder wirtschaftlich besser unterstützen und ihnen wahrscheinlich auch mehr vererben.
Und die Schere öffnet sich weiter, wie die Zahlen aus Österreich ebenfalls zeigen. Männer mit höchster und niedrigster Schulbildung lagen 2015 bei der Lebenserwartung 6,3 Jahre auseinander, 2021 waren es schon 7,6 Jahre. Bei den Frauen kletterte der Abstand von 3,4 auf 4,1 Jahre.
Wie also lässt sich der Trend umkehren? Ein Weg führt über bessere Gesundheitsaufklärung – neudeutsch „Health Literacy“ genannt. „Bildung ist der größte Hebel für die Lebenserwartung“, sagte der bekannte TV-Arzt Eckart von Hirschhausen. Zahlreiche Studien belegen gravierende Unterschiede im Gesundheitsverhalten: Gebildete rauchen seltener, bewegen sich mehr, essen mehr Obst und Gemüse, achten mehr auf ihr Gewicht und nutzen öfter Vorsorgeuntersuchungen. Zuletzt bestätigte eine Untersuchung der Stiftung Gesundheitswissen 2020 diesen Befund. Die Ergebnisse beschreiben die Autoren als einen Riss, der durch Deutschland geht.
Gesundheit liegt in den eigenen Händen
Das Ernüchternde: Den Menschen fehlt mitunter nicht nur das Wissen, sondern auch das Vertrauen, die eigene Gesundheit positiv beeinflussen zu können. Doch das ist falsch. Jeder hat es vor allem selbst in der Hand, wie alt er wird. Denn egal ob Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen: In erster Linie bestimmt der Lebensstil das Risiko, eine schwere Erkrankung zu erleiden. Dieser Zusammenhang müsse stärker vermittelt werden, betont Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach: „Ich halte es für außerordentlich wichtig, das Vertrauen in die Selbstwirksamkeit und das entsprechende Wissen und Verhalten quer durch alle Schichten zu fördern.“ Und das beginne schon bei der Betreuung und Erziehung von Kleinkindern.
Die niedrigere Lebenserwartung von gering Gebildeten lässt aber nicht nur mit Unwissenheit oder mangelnder Einsicht erklären. Eine wichtige Rolle spielen auch die Lebensumstände, die wiederum vom Bildungsniveau abhängen. Mit der Schullaufbahn ist der sozioökonomische Status häufig besiegelt. Die Bildungsunterschiede münden in sozialen Gegensätzen, die sich zeitlebens manifestieren. Das beginnt beim Gehalt und der Arbeitsbelastung, betrifft aber auch die Gesundheitsversorgung, die Länge der Arbeitswege oder die Wohnverhältnisse. Ein guter Job macht es leichter, das Leben so zu gestalten, wie er oder sie es möchte. Das bedeutet weniger Stress und ein besseres persönliches Wohlbefinden – entscheidende Faktoren für die Lebenserwartung.
Teilhabe am Fortschritt – für alle Menschen
Für Demograph Marc Luy ist ein höherer Sozialstatus verbunden mit einem besseren Zugang zu „flexiblen sozialen Ressourcen“, wie er es nennt. Dazu gehört aber nicht nur Geld, sondern auch Wissen, Einfluss und vorteilhafte Netzwerke. Menschen mit einem größeren Zugang zu solchen Ressourcen profitierten beispielsweise schneller von neuen Technologien oder Behandlungsmöglichkeiten. „Wir müssen es also schaffen, diese Neuerungen auch Menschen mit geringerem Sozialstatus leichter zugänglich zu machen. Ansonsten werden wir das Gefälle nicht auflösen“, betont er.