Bildung und Lebenserwartung

06.11.2017

Wer lange die Schul­bank drückt, lebt län­ger

Akademiker leben länger als Geringqualifizierte. Sie verdienen mehr und haben weniger Existenzsorgen. Vor allem aber achten sie besser auf ihre Gesundheit.

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Wer einen Studienabschluss oder gar einen Doktortitel hat, lebt statistisch länger als ein Mensch mit einfacher Schulausbildung.

Man lernt nicht nur für die Schule, sondern fürs Leben – so manch einer mag sich noch an diesen Spruch seiner Eltern erinnern. In der Rückschau weise Worte, denn die Zeit zwischen Einschulung und Berufseinstieg bestimmt maßgeblich, welche Qualität unser Lebensweg haben wird – und auch: wie lange er währt. „Wie hoch unsere Lebenserwartung ist, hängt stark von unserer Bildung ab. Als Einflussfaktor ist sie vielleicht sogar wichtiger als die Erbanlagen“, sagt Thomas Lampert, Soziologe am Robert Koch-Institut (RKI).

Hochgebildete leben bis zu zwölf Jahre länger

Vor allem der Bildungsabschluss entscheide zu einem Großteil mit, wie lange ein Mensch auf Erden weilt. Sprich: Je mehr Stufen des Bildungssystems erklommen werden, desto besser die Chancen auf ein langes Leben. Diesen Zusammenhang belegt eine Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, die die Lebenserwartung der verschiedenen Bildungsschichten in Schweden, Norwegen und Finnland miteinander verglich. Ergebnis: Gut gebildete, verheiratete Frauen leben im Schnitt acht Jahre länger als die übrige Bevölkerung; verheiratete Männer mit hoher Bildung kommen immerhin auf fast sechs Jahre. Andere Studien beziffern die Lebensdauer-Kluft zwischen Hochschulabsolventen und Menschen, die keine oder nur die Grundschule besucht haben, gar auf bis zu zwölf Jahre.

Die Ursachen sind laut Lampert vielfältig und individuell: „Es geht nicht nur um das Einkommen. Den Grund ausschließlich darin zu sehen, ob jemand arm oder reich ist, wäre zu kurz gedacht. Vielmehr ist es eine Mischung: einerseits der sozioökonomische Status, also die Lebensumständen in ihrer Gesamtheit, andererseits das Gesundheitsverhalten und -wissen, in dem sich untere und obere Bildungsschichten stark unterscheiden.“ Wie sind die berufliche Stellung und die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt? Sind Jobs sicher oder prekär? Wie stabil ist die familiäre, wie gesund die wohnliche Situation? Dominieren Zufriedenheit oder aber Sorgen und psychischer Stress den Alltag? Und nicht zuletzt: Welchen Stellenwert nimmt der Erhalt der Gesundheit im Leben ein? Die Antworten auf diese Fragen beginnen fast immer bei der Bildung.

Wenig Bildung – mehr Krankheiten

Ist sie gering, steigt die Wahrscheinlichkeit, von Krankheiten betroffen zu sein. Daten der AOK belegen, dass Männer ohne Berufsausbildung ein viermal höheres Herzinfarktrisiko besitzen als Männer mit Hochschulabschluss. Auch Bluthochdruck, Lungenkrebs, Diabetes Typ 2 und Adipositas, also krankhaftes Übergewicht, treten bei Menschen mit niedriger Bildung häufiger auf. Die Ursachen dieser Volkskrankheiten sind dabei oft die Folge eines schädlichen Lebensstils aus schlechter Ernährung, Bewegungsmangel und Tabakkonsum. 

Studien weisen darauf hin, dass rund die Hälfte der gesundheitlichen Ungleichheit und damit der Lebenserwartungslücke zwischen den Bildungsschichten auf das Gesundheitsverhalten zurückzuführen ist. Wohlgemerkt: Nicht jede Person mit niedriger formaler Bildung führt einen ungesunden Lebensstil, nicht jeder Uniabsolvent ernährt sich ausgewogen und ist eine Sportskanone. Dennoch spiegeln wissenschaftlich erhobene Daten wider, dass „menschengemachte“ Risikofaktoren vor allem bei den unteren Bildungsschichten anzutreffen sind.

Hauptprobleme: Übergewicht, Bewegungsmangel, Rauchen

So haben Menschen ohne Schul- beziehungsweise höchstens Hauptschulabschluss laut Statistischem Bundesamt einen durchschnittlichen Body-Mass-Index (BMI) von rund 27 und damit Übergewicht – ein Risikofaktor. Fehlt auch ein Berufsabschluss, legt der BMI vor allem im Alter ab 50 Jahren noch um einen Punkt zu. Wer hingegen das Abitur erlangt und anschließend eine Hochschule besucht, bleibt mit einem BMI von 25 sein Leben lang normalgewichtig. Verzehrstudien zeigen, dass weniger Gebildete vermehrt zu energiereichen, stark verarbeiteten Nahrungsmitteln mit hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt greifen. Obst und Gemüse landen im Gegensatz dazu weitaus seltener im Einkaufswagen.

Noch größere Differenzen werden beim Thema Nikotinkonsum sichtbar. Fast 50 Prozent der Menschen mit Haupt- beziehungsweise ohne Schulanschluss rauchen. Steigt der Bildungsgrad, sinkt hingegen das Interesse an den Glimmstängeln. Unter Doktoranden beispielsweise greift nur jeder Zehnte zur Zigarette.

Gesundheitsverhalten wichtiger als Schlussabschluss

Laut der Umfrage „Gesundheit in Deutschland aktuell“ des RKI nehmen untere Bildungsgruppen seltener Gesundheits-Check-ups und präventive Maßnahmen wie Ernährungsberatung oder Bewegungsangebote in Anspruch. Wissenschaftler vermuten, dass es höher Gebildeten besser gelingt, Risiken abzuschätzen und zu beherrschen sowie gesundheitsrelevantes Wissen anzuwenden. „Werden zum Beispiel Diabetes-Symptome früh als solche erkannt und Medikationsempfehlungen korrekt umgesetzt? Weiß man, welche Vorsorgeuntersuchungen wichtig sind und wo es Anlaufstellen im Gesundheitswesen gibt? All dies erfordert ein Sich-Informieren und die Reflexion des eigenen Lebensstils“, so Lampert.

Vorzeitige Todesfälle im Zusammenhang mit niedriger Bildung sind eine vergebene Chance und prinzipiell in vielen Fällen vermeidbar. Für Reiner Klingholz, Leiter des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, hat Bildung ohnehin weniger etwas mit einem bestimmten akademischen Abschluss zu tun: „Um es ganz beispielhaft zu sagen: Der Fahrrad-Kurier hat sogar bessere Voraussetzungen alt zu werden als der Manager mit einem 15-Stunden-Tag.“ Viel wichtiger als Zeugnisse und Noten sei die Erkenntnis, was ein gesundes Leben ausmacht. Dreh- und Angelpunkt dabei: früh ansetzen, schon in Kindheit und Jugend. „Kinder müssen gesund aufwachsen können und unabhängig vom sozialen Status die gleichen Bildungs- und Lebenschancen haben“, fordert RKI-Experte Lampert.

Verhaltensmuster werden von Generation zu Generation weitergegeben

Noch immer allerdings erlangen sie selten einen höheren Bildungsabschluss als die Eltern, werden Verhaltensmuster wie Rauchen, Bewegungsmangel oder ungesunde Ernährung von Generation zu Generation weitergegeben. „Der teure Einkauf im Bioladen und das ganze Trara um Nährstoffe sind dabei gar nicht nötig. Eigentlich reicht es schon, nicht zu viel zu essen, selber zu kochen und wieder eine Esskultur zu entwickeln. Eine Projektwoche in der Schule kann gar nichts ausrichten, wenn das familiär nicht mitgetragen wird. Es ist auch ein Teil Eigenverantwortung.“

Für den anderen Teil ist die Politik gefragt. Zum Beispiel durch ein vollständiges Verbot der Tabak-Werbung oder die Einführung von Warnhinweise auf gesundheitsschädlichen Lebensmitteln. „Letztendlich“,  betont Soziologe Lampert, „ist jede Investition in die Bildung eine Investition in die Lebenserwartung.“