Beweglichkeit

30.09.2024

Wer gelen­kig ist, lebt län­ger

Dass Ausdauer- und Kraftsport gesund sind, ist bekannt. Was oft zu kurz kommt: das Trainieren der Beweglichkeit. Dabei hängt die Lebenserwartung auch von der Gelenkigkeit ab.

© Unsplash / Alex Shaw

Man muss keinen Spagat können, beweglich sollte aber jede und jeder bis ins hohe Alter bleiben.

Jetzt mal Hand aufs Herz – beziehungsweise an die Zehen: Schaffen Sie es, sich zu bücken und dabei Ihre Füße oder den Boden zu berühren? Mit durchgestreckten Beinen und ohne ein allzu stark schmerzendes Ziehen in Rücken und Waden? Bleiben trotz Anstrengung die letzten zehn Zentimeter unüberwindbar, ist das nicht weiter schlimm. Dies gilt gesundheitlich noch als harmlos. Ist der Abstand zwischen Fingern und Boden größer, steht es um Ihre Beweglichkeit allerdings nicht gerade zum Besten. 

Mangelnde Beweglichkeit erhöht das Sterberisiko 

Brasilianische Sportmediziner haben nun eine Langzeitstudie  vorgelegt, die derartige Übungen in ein völlig neues Licht rücken. Ihnen zufolge lässt sich dadurch nämlich nicht nur der Grad der körperlichen Flexibilität messen, sondern auch ein bisher kaum erforschter Zusammenhang herstellen: der zwischen Beweglichkeit und Lebenserwartung. Dafür analysierten die Wissenschaftler die physischen Merkmale von 3139 Frauen und Männer mittleren Alters. In regelmäßigen Intervallen wurden die 45- bis 65-Jährigen gewogen, vermessen – und auf ihre Mobilität hin getestet . Man konzentrierte sich dabei auf sieben Gelenke, ließ die Teilnehmer zum Beispiel Knie und Ellbogen beugen und strecken und ermittelte so den jeweiligen Bewegungsumfang. Für jeden Probanden ergab sich am Ende ein Wert zwischen 0 und 80 (0 = gar nicht beweglich, 80 = voll beweglich). 

Nach durchschnittlich 13 Jahren erfolgte dann der Abgleich. Wer hatte den Zeitraum überlebt? Und wie stand es um die körperliche Verfassung der Verstorbenen? Die Ergebnisse lassen sich mit einer einfachen Formel auf den Punkt bringen: Je beweglicher man ist, desto länger lebt man. So hatten Frauen mit dem niedrigsten Flexibilitätswert ein fünf Mal höheres Sterberisiko als die sehr Gelenkigen. Bei den Männern war es immerhin doppelt so hoch. Natürlich, das sagen auch die Forscher, entscheidet die Beweglichkeit nicht direkt über Leben und Tod. Wenn es uns an ihr mangelt, verlangsamt sich jedoch unter anderem die Gehgeschwindigkeit, werden Übergewicht und degenerative Erkrankungen wie Arthrose begünstigt. Kurz gesagt: Wir altern beschleunigt. 

Wer rastet, der rostet 

Für die Flexibilität unseres Körpers sind viele verschiedene „Werkzeuge“ verantwortlich. Vor allem die 140 Gelenke. Sie verbinden Knochen miteinander und ermöglichen im komplexen Zusammenspiel mit Muskeln, Sehnen und Bändern zahlreiche Bewegungen: Gehen, Rennen und Springen, aber auch das Aufheben eines heruntergefallenen Bleistifts oder das simple Aufstehen von einem Stuhl. Am beweglichsten ist der Mensch als Baby. Den großen Zeh in den Mund stecken – nichts leichter als das. Mit der Zeit schwindet diese Fähigkeit jedoch und etwa ab dem fünften Lebensjahr verlieren wir naturgemäß jährlich rund ein Prozent unseres Bewegungsumfangs. 

Ist man körperlich eher wenig aktiv, können die Verluste freilich auch größer ausfallen. Mehr und mehr versteifen dann die Gelenke, verkürzen sich die Muskeln und verschlechtert sich die Spannkraft von Sehnen und Bändern. Eine mögliche Folge: Man ist nicht mehr in der Lage, aus einer sitzenden Position und ohne die Hände zu benutzen, vom Boden aufzustehen. Ein echtes Alarmsignal für alle über 50-Jährigen, denn laut einer Studie  geht dieses Unvermögen mit einer fünffach erhöhten Wahrscheinlichkeit einher, in den nächsten sechs Jahren zu versterben. 

Stretching gehört zur Altersvorsorge 

Wie ein „Frühwarnsystem“ oder Symptom deutet schlechte Beweglichkeit nämlich auf verschiedene gesundheitliche Probleme hin. Auf mangelnde Durchblutung und ein steigendes Risiko für Gefäßverkalkung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zum Beispiel. Oder auf Defizite bei Gleichgewicht und Körperstabilität und eine dadurch wachsende Gefahr für Stürze und Verletzungen. Vor allem später im Leben wächst die Bedeutung von Gelenkigkeit und wird zu einer wesentlichen Säule guten Alterns. Schnell aus dem Bett aufstehen, sich waschen, anziehen und die Schuhe zubinden, Saubermachen, Einkaufen und Kochen: Will man die Dinge des Alltags selbstständig bestreiten, muss man in die Hocke gehen, sich drehen, ausstrecken und bücken können. 

Damit dies lange ohne große Mühe funktioniert, braucht es viel Bewegung. Allein auf Sportarten wie Joggen, um die Ausdauer zu fördern, oder Hanteltraining, um Muskelkraft aufzubauen, sollte man sich jedoch nicht konzentrieren. Zielgenauer wirken Dehnübungen und Beweglichkeitsprogramme wie Yoga, Tai Chi oder Pilates. Für den Anfang reichen schon zwei Zehn-Minuten-Einheiten pro Woche, um die Gelenkigkeit merklich zu verbessern. Danach empfehlen Experten, das Stretching auf drei Mal wöchentlich à 30 Minuten zu steigern. Mit den Fingern den Boden berühren – spätestens dann ist das ein Kinderspiel.