Demenz

09.11.2022

Was sich gegen Alz­hei­mer im Alter tun lässt

Die steigende Lebenserwartung hat eine Kehrseite: Immer mehr Menschen leiden an Alzheimer. Ein gesunder Lebensstil beugt der Krankheit aber vor. Auch ein Heilmittel scheint nicht mehr fern.

© Alex Motoc / Unsplash

Wenn das Erinnerungsvermögen nachlässt, erkennen Menschen mitunter nicht einmal ihr Spiegelbild wieder.  

Unser Gehirn ist ein Meister der Anpassung. Erblindet ein Mensch, programmiert es sich um und nutzt fortan das Gehör für die Orientierung. Gehen bei einem Schlaganfall Nervenzellen verloren, können verbliebene Zellen deren Job übernehmen und dem Patienten seine Sprachfähigkeit zurückgeben. „Das ist einfach faszinierend“, findet Nadine Diersch. Die Neurowissenschaftlerin hat in ihrer Arbeit immer wieder beobachtet, wie gut das Gehirn darin ist, Verluste auszugleichen. Aber auch, wo es Grenzen gibt. Zum Beispiel bei den rund 1,8 Millionen Deutschen, die an einer Demenz leiden.

Gut 50 verschiedene Formen dieser Erkrankung gibt es. Die mit zwei Drittel häufigste aller Fälle ist die Alzheimer-Demenz. Sie entsteht, weil bestimmte Eiweiße im Gehirn nicht mehr so recht abgebaut werden, sich daraufhin in und an den Nervenzellen ablagern und sie so zunehmend zerstören. Geschädigt werden vor allem der Hippocampus und die Großhirnrinde – jene Hirnregionen, in denen Denken, Lernen und Erinnern ablaufen. Die Folgen für Betroffene sind gravierend: Alzheimer erschwert Wortfindung und Urteilsvermögen, raubt das Gefühl für Zeit und Raum, lässt nicht nur vergessen, wo der Autoschlüssel liegt, sondern auch wofür er benutzt wird.

Alzheimer ist eine typische Alterskrankheit

Alzheimer ist eine typische Alterskrankheit. Mehr als 94 Prozent der Demenz-Patienten 65 Jahre oder älter. Bei 80-Jährigen leidet jeder Achte, bei 90-Jährigen sogar jeder Dritte unter schleichendem Vergessen. Das Älterwerden deshalb zu fürchten, sollte jedoch niemand, sagt Forscherin Diersch. „Es gibt zwar keine Garantie, aber wir können durchaus vorbeugen. Vor allem unser Verhalten ab der Mitte des Lebens bestimmt entscheidend über die geistige Verfassung im Alter.“

Eine aktuelle Modellrechnung bestätigt das: Demnach könnten 40 Prozent der Demenz-Erkrankungen verhindert oder zumindest in ihrem Verlauf verlangsamt werden – vorausgesetzt zwölf Risikofaktoren würden im großen Stil aus dem Leben der Menschen verschwinden. Bluthochdruck und Typ 2-Diabetes gehören ebenso dazu wie das Rauchen, Übergewicht und eine Ernährung, die aus viel rotem Fleisch, Fertigprodukten und Süßigkeiten besteht. Auch ein Mangel an sportlicher Aktivität schadet dem Hirn.

Gesunder Lebensstil beugt Erkrankung vor

Was passiert, wenn nur ein paar dieser Risiken vermieden werden, zeigt eine Studie aus den USA. Über 19 Jahre hinweg wurden ältere Menschen zu ihrem Lebensstil befragt: Ob sie auf Tabak verzichten, sich mehrmals pro Woche sportlich betätigen, ihren Geist regelmäßig fordern oder sich gesund ernähren, etwa mit viel Obst und Gemüse. 65-jährige Frauen, die dies größtenteils bejahten, hatten im Schnitt noch 21,6 demenzfreie Jahre vor sich. Frauen, die überwiegend mit Nein antworteten, blieben dagegen im Schnitt nur 17 Jahre von der Erkrankung verschont. Bei ungesund lebenden Männern war die Demenzphase im Vergleich zu den „Gesunden“ sogar fast doppelt so lang.

Prävention ist also möglich – und auch dringend nötig. Denn die Zahl der Erkrankten könnte im Jahr 2050 auf rund 2,8 Millionen steigen. Weil die Deutschen immer länger leben und der Bevölkerungsanteil der über 65-Jährigen dann wahrscheinlich mehr als 30 Prozent betragen wird.

Frühe Diagnose erhöht Therapiechancen

Was viele jedoch nicht wissen: Alzheimer beginnt oft weit vor dem Rentenalter. „Wenn sich erste Ablagerungen im Gehirn bilden, gibt es meist noch keine erkennbaren Beschwerden. Bis Symptome auftreten, können gut und gerne 15 Jahre vergehen“, so Diersch.

Bei Neotiv, ihrem Arbeitgeber, widmet man sich daher der Früherkennung. Das Unternehmen hat eine App entwickelt, die in verschiedenen Tests potenzielle Gedächtnisprobleme erfasst. Patienten müssen sich  beispielsweise die Position von Gegenständen in einem Raum merken. Eine Fähigkeit, die mit der Funktion der Gehirnregion zusammenhängt, in der überschüssiges Eiweiß die Erinnerung blockieren kann. Andere Forscher erhoffen sich durch die Identifikation von Biomarkern im Blut eine bessere Früherkennung. 

Im Fall der Fälle gewinnt man so wertvolle Zeit, um therapeutische Maßnahmen effizient einzusetzen und den Verlauf  zu verzögern. Denn Studien belegen, dass Alzheimer-Medikamente im Anfangsstadium der Erkrankung am besten wirken.

Heilung in Sicht

Dass die Zahl der Demenz-Erkrankten unter 65 seit Jahren zunimmt und mittlerweile bei rund 100.000 liegt, ist daher paradoxerweise eine positive Entwicklung. Denn es gibt vor allem deshalb einen Anstieg, weil eine bessere Diagnostik mehr Befunde im Frühstadium ermöglicht. So kann man heute durch bildgebende Verfahren den Verlust von Hirnmasse bestimmen und früh die schädlichen Eiweiße sichtbar machen.

Der größte Meilenstein fehlt allerdings noch: Ein Mittel, das Alzheimer heilt. Oder zumindest in Schach hält. Labore rund um den Globus vermelden jedoch immer mehr Fortschritte. Aktuell durchlaufen beispielweise drei Medikamente die letzte Phase der Erprobung. Auch Neurowissenschaftlerin Diersch ist optimistisch, dass sich die Hirngesundheit bald länger erhalten lässt. „Wer heute jung oder im mittleren Alter ist, könnte den Durchbruch noch miterleben – und im Ruhestand davon profitieren.“