Warum Opa und Oma ihren Enkeln heute näher sind
Nie standen sich Großeltern und Enkel näher als heute – dank steigender Lebenserwartung. Sie erlaubt es Alt und Jung, eine lange, innige Beziehung zueinander aufzubauen.
Den nächsten Sommerferien fiebert Erik schon heute entgegen. An die Ostsee wird es gehen. Sieben Tage lang Sandburgen bauen, Frisbee spielen am Strand, im Wasser toben, an der Küste entlangradeln. Seine Eltern? Die bleiben natürlich zuhause. Denn die zweite Ferienwoche ist alljährlich fest für Oma und Opa reserviert. Bereits zum vierten Mal gehen die drei gemeinsam auf Reisen. Die bisher schönste Reise, so erzählt der Elfjährige, war der Campingurlaub in Brandenburg. Kanu seien sie gefahren, manchmal den ganzen Tag von See zu See. Abends haben ihm Oma und Opa gezeigt, wie man Stockbrot zubereitet und ein Lagerfeuer macht, haben ihm im Zelt Abenteuergeschichten vorgelesen und Witze erzählt. Kindheitserinnerungen für die Ewigkeit.
Begleiter bis zur Hochzeit
An ihre eigenen Großeltern haben Marianne und Helmut Fischer, Oma und Opa von Erik, hingegen keine Erinnerung: Sie starben lange vor deren Geburt. „Da haben wir und unsere Enkel es besser“, sagt die 66-Jährige. „Wir fühlen uns noch sehr fit, können sie aufwachsen sehen und an ihrem Leben aktiv teilhaben.“
Dass die Fischers diese Erfahrungen machen können, ist vor allem der steigenden Lebenserwartung zu verdanken. Sie schenkt Enkeln und Großeltern mehr gemeinsame Zeit und schafft die Basis dafür, dass ihre Beziehung wohl noch nie so eng und persönlich war wie heute. Konnten Großeltern früher ihre Enkel bis maximal zur Einschulung begleiten, stehen die Chancen heute mehr als gut, ihre erste große Liebe kennenzulernen, ihnen zum bestandenen Uni-Abschluss zu gratulieren und sogar auf ihrer Hochzeit zu tanzen. Zum Vergleich: 1871 lag die Lebenserwartung neugeborener Mädchen bei rund 38 Jahren, Jungen konnten gar auf nur knapp 36 Lebensjahre hoffen. Der Geburt der eigenen Kindeskinder beizuwohnen – damals so gut wie ausgeschlossen.
Großeltern betreuen Enkel immer häufiger
Einen großen Teil des Ruhestands ihren Enkeln zu widmen, ist für Marianne und Helmut Fischer selbstverständlich, ja ein Bedürfnis. „Ich denke, teilweise holen wir mit ihnen etwas nach. Wir haben früher viel gearbeitet – für unsere eigenen Kinder blieb dadurch manchmal zu wenig intensiv verbrachte Zeit übrig“, sagt der 67-Jährige. Auch laut des Deutschen Alterssurveys kümmern sich immer mehr Großeltern regelmäßig, genauer gesagt mindestens einmal pro Woche, um ihre Enkel. Waren es 2008 noch rund 24 Prozent der 40- bis 85-Jährigen, stieg deren Anteil bis 2014 auf gut 30 Prozent an. Fast 60 Prozent betreuen die Kleinen von Zeit zu Zeit. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch die wachsende Zahl berufstätiger Mütter, die stärker zunimmt als der Ausbau öffentlicher Betreuungseinrichtungen. Glück dem, der einen großelterlichen „doppelten Boden“ in der Nähe hat.
Für jeden Spaß zu haben
Und das ist heutzutage öfter der Fall, als vielleicht gedacht. Obwohl die Zahl der Haushalte, in denen mehrere Generationen unter ein Dach leben, in den letzten Jahren stark abgenommen hat, wohnen Oma und Opa zumeist nicht weit entfernt. Laut der Betreuungsstudie des Deutschen Jugendinstituts trennt rund 40 Prozent aller Kinder bis 16 Jahren nur eine viertel Stunde Fußweg von den Großeltern. Weitere 35 Prozent sind innerhalb einer Stunde an Ort und Stelle.
So ist es auch bei den Fischers. Kommt ein „Notruf“ aus dem Haushalt ihrer Tochter Janett, sind sie nach einer kurzen Autofahrt da, können einspringen, wenn die Eltern von Erik und seiner fünfjährigen Schwester Sophie mal beide länger arbeiten müssen oder Läusealarm oder Bauchweh den Besuch von Kita oder Schule unerwartet verhindern. Einmal pro Woche ist zudem „Kirpse-Tag“. Dann machen Helmut und Erik zusammen „Männersachen“, hantieren in Helmuts Werkstatt, gehen ins Kino, spielen Fußball oder Play Station. Oma Marianne bringt Sophie unterdessen zum Seepferdchen-Schwimmkurs. Oder spielt mit ihr Memory. Oft stundenlang in Dauerschleife. Entspannt und geduldig gehe sie mit dem kindlichen „Nochmal, Oma!“ um, sagt sie. „Früher hätte mir dafür oft die Muße gefehlt.“
Weniger „Lehrmeister“, mehr Spielkamerad und Freund
Denkt Eriks Mutter Janett Mühle an ihre eigenen Großeltern zurück, bemerkt sie eindeutige Unterschiede. Natürlich seien auch diese liebevoll gewesen, aber eben nicht so nahbar, fit und unternehmungslustig wie ihre Eltern heute. „Meine Oma hat meine Mutter vor allem beim Windelwechseln und Kochen unterstützt, uns Enkelkindern hat sie viel vorgelesen. Gemeinsame Ausflüge oder gar Urlaube gab es so gut wie nie“, erzählt die 38-Jährige. Der Großvater sei eine Autorität gewesen. Was er gesagt hat, war Gesetz. Wenn sie heute beobachtet, wie ihr Vater auch mal mit Sophie und Erik kuschelt, wie freundschaftlich er mit ihnen redet, ihnen zuhört und Ratschläge gibt ohne zu bevormunden, erfüllt sie das mit Freude.
Das gilt auch beim Thema Erziehung. „Große, grundlegende Differenzen gibt es da kaum“, sagt Janett Mühle. Ab und zu gebe ihr die Mutter einen Tipp, aber nie so, als wäre sie der Weisheit letzter Schluss. Auch das Generationsbarometer des Allenbach Instituts bestätigt diesen Trend: Nur fünf Prozent der befragten Großeltern gaben an, ganz anders über Erziehung zu denken als die Eltern. Strafe und strikter Gehorsam – dagegen sprechen sich beide Generationen zunehmend aus und liegen damit bei den Erziehungsvorstellungen wohl so nah beieinander wie zuletzt vor hundert Jahren. Einer Studie des Schweizer Soziologen François Höpflinger zufolge empfinden die Mehrheit der 12- bis 16-jährigen Enkel ihre Großeltern demnach vor allem als humorvoll, großzügig und tolerant. Übermäßig streng – das war gestern.
Zeit mit den Enkeln kann das Leben verlängern
Für Sophie und Erik gehören Oma und Opa zu den wichtigsten Personen im Leben. Wenn sie die Großeltern vermissen, wird geskypt. Hat der Schüler Sorgen oder etwas Schönes erlebt, erzählt er es ihnen in der eigenen WhatsApp-Gruppe. Selbst den neuesten Song seines Lieblings-Hip-Hoppers könne er ihnen vorspielen. Zwischen den Lebenswelten liegen keine tiefen Gräben mehr. Schließlich haben die Fischers in ihrer Jugend selbst Led Zepplin und die Rolling Stones gehört. „Oma und Opa sind cool“, findet der Elfjährige und spiegelt damit eine neue Sicht auf die ältere Generation wider, wonach heute nur noch jedes fünfte Enkelkind seine Großeltern als „altmodisch“ betrachtet.
Vielleicht liegt dies auch daran, dass das Großeltern-Dasein wie ein Jungbrunnen wirkt. So belegen Daten der Berliner Altersstudien, einer Umfrage unter 500 Personen zwischen 70 und 103, dass ein häufiger Kontakt zu den Enkelkindern und damit das Gefühl, sozial eingebunden zu sein und gebraucht zu werden, das Leben um bis zu fünf Jahre verlängern kann.
Gut für die Fischers, denn auch Sophie hat mittlerweile mitbekommen, dass ihr Bruder einmal im Jahr mit Oma und Opa die Koffer packt. „Ein bisschen werden wir wohl noch warten, bis wir zu viert verreisen“, sagt Helmut Fischer. Die Zeit haben sie, denn nicht nur die Lebenserwartung steigt, sondern auch die Zahl der gesunden Lebensjahre. So haben 65-jährige Frauen heute noch 7,7 beschwerdefreie Jahre vor sich, Männer im gleichen Alter mit 7,5 Jahren nur unbedeutend weniger. Genug Zeit also für noch viele Oma-Opa-Enkel-Urlaube.