Warum Freunde der Schlüssel für ein langes Leben sind
Soziale Kontakte sind das Lebenselixier überhaupt. Denn alles, was die Lebensdauer positiv beeinflusst, hängt mit ihnen zusammen: Ob Sport, Ernährung, Anerkennung oder das Gefühl von Vertrauen und Zugehörigkeit.
Die Briten gelten als geselliges Volk. Sinnbild dafür sind die über 47.000 Pubs, in denen man mit Freunden beisammensitzt, diskutiert, lacht, seine Sorgen teilt. Doch dies erleben nicht alle. In Umfragen gibt jeder fünfte Brite an, niemanden für solch ein Treffen zu haben und sich ständig oder oft einsam zu fühlen. Um soziale Isolation zu bekämpfen, geht die Regierung einen weltweit einzigartigen Weg: Seit 2019 dürfen Hausärzte im Vereinigten Königreich ihren Patienten nicht nur Medikamente, sondern auch Sozialkontakte verschreiben. Ob Töpferkurs oder der Beitritt in eine Wandergruppe – alles, was neue Freundschaften fördert, ist möglich.
Freunde sind Stresskiller
Die Methode „Freunde auf Rezept“ mag etwas skurril erscheinen, aber enge Vertraute sind tatsächlich wie Medizin und vielleicht sogar die beste Investition in ein langes, gesundes Leben. Davon zeugen immer wieder beeindruckende Zahlen aus der Forschung. 22 Prozent zum Beispiel. Um so viel höher ist die Lebenserwartung von älteren Menschen, die mehrere gute Freunde besitzen, verglichen mit solchen ohne Freundeskreis. Oder 74 Prozent. So hoch ist das Risiko, vor dem 70. Geburtstag zu versterben, wenn es bereits seit der Lebensmitte an engen Beziehungen mangelt. Und schließlich 15. So schädlich ist Einsamkeit für den Körper, umgerechnet in die toxische Wirkung von fast einer Schachtel Zigaretten pro Tag.
„Eine Ursache dafür ist chronischer Stress, unter dem einsame Menschen viel häufiger leiden“, sagt Ulrike Scheuermann. Die Psychologin hat ein Buch über Freundschaft geschrieben und weiß, was das Gefühl, allein zu sein, und der Kummer darüber in Körper und Seele anrichten können: Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rückenschmerzen und Übergewicht, Schlafstörungen und Depressionen, ein geschwächtes Immunsystem und eine langsamere Genesung. „Haben wir dagegen ein reiches Sozialleben mit Menschen, auf die wir uns verlassen können und mit denen wir viel entspannte Zeit verleben, sinkt das Stresslevel massiv.“ Forscher der Universität Freiburg haben hier sogar eine Faustregel parat: Wer zehn Minuten mit seinem besten Freund verbringt, ist eine Stunde vor Stress geschützt.
Soziale Integration beeinflusst den Lebensstil
Für Psychologin Scheuermann bewirken Beziehungen, insbesondere Freundschaften, aber noch viel mehr. „Geht es um die Voraussetzungen für ein langes Leben, heißt es meist: nicht rauchen, wenig Alkohol, sich gesund ernähren und viel bewegen. Alles wichtig und richtig. Aber eigentlich sind enge Bindungen der Faktor Nummer 1.“ Ohne sie ist beispielsweise der Griff zu Zigaretten, Bier und fettem Essen durch Frust und fehlende soziale Kontrolle viel wahrscheinlicher. Einen Badmintonschläger wird man hingegen eher selten in die Hand nehmen. Denn für Sport braucht es Motivation. Ohne Anstoß von außen oft schwer aufzubringen. „Alles, was die Lebensdauer beeinflusst, hängt mit sozialen Kontakten zusammen. Sie sind einfach die Grundlage von allem“, so Scheuermann.
Trotz glücklicher Partnerschaft sind der Psychologin ihre Freundinnen daher unheimlich wichtig. „Ein Mensch allein kann doch nicht all unsere Bedürfnisse stillen“, findet sie. Ideal seien drei bis fünf weitere Vertraute. Manche kennen wir noch aus der Schulzeit. Andere sind erst durch den Job oder Sportverein in unser Leben getreten. Aber auch zu Familienmitgliedern kann man eine freundschaftliche Beziehung entwickeln. Zum Bruder beispielweise oder – dank der steigenden Lebenserwartung – zu seiner Großmutter. Hier wie da sind es Menschen, mit denen man Interessen und Werte gemein hat, offen sprechen kann und die Gewissheit teilt, sich beizustehen – ganz gleich zu welcher Uhrzeit, egal ob in Krankheit, nach einer Scheidung oder bei einem Umzug.
Männer, kümmert euch mehr um Freundschaften!
Ein Selbstläufer ist das alles jedoch nicht. Damit Freundschaften halten, muss man sie zeitlebens pflegen. Experten raten, sich mindestens ein bis zwei Stunden pro Woche Zeit zu nehmen, zu telefonieren, sich zu schreiben oder, natürlich am besten, persönlich zu treffen. Auf diese Weise sozial vorzusorgen, damit täten sich aber vor allem Männer mitunter schwer, sagt Scheuermann. „Wenn Frauen eine Partnerschaft haben, haben sie daneben noch mindestens eine beste Freundin.
Bei Männern hingegen kommt nach der Partnerin oft lange nichts und erst mit viel Abstand erscheinen ein paar Kumpels.“ Ob diese Beziehungen in die Tiefe gehen, man auch mal über sein Seelenleben spricht, bezweifelt die Psychologin. Zudem tendierten Männer dazu, die Kontaktpflege mit dem Freundeskreis der Frau zu überlassen. „Das alles kann dramatisch werden, wenn es eine Trennung gibt oder die Partnerin stirbt.“ Nicht selten stehen Männer dann allein da und das Gesundheitsrisiko Einsamkeit schlägt mit voller Wucht zu.
Freunde als Wahlfamilie
Allgemein haben Freundschaften für die Deutschen aber einen hohen Stellenwert; für 74 Prozent sind Freunde nicht weniger als eine Art zweite Familie. In Zukunft könnte ihre Bedeutung sogar noch zunehmen. Denn seit 1991 ist die Zahl der Menschen, die hierzulande allein leben, um 52 Prozent auf über 17 Millionen gestiegen. Rund 36 Prozent davon sind älter als 65. Zudem ist jedes vierte Kind ein Einzelkind. Heiraten zwei von ihnen, wird ihr Nachwuchs in seinem Leben kein soziales Netz aus Tanten und Onkeln, Cousinen und Cousins haben.
Wie in Großbritannien sollen Freundschaften daher auch hierzulande gefördert und aufgewertet werden. Doch nicht durch den Gang zum Arzt, sondern zum Standesamt. Geht es nach der FDP, könnten Freunde dort bald eine sogenannte „Verantwortungsgemeinschaft“ gründen. Wie Eheleute hätten die Mitglieder dieser Wahlfamilie dann zum Beispiel das Auskunftsrecht im Krankenhaus, aber auch die Pflicht, sich im Alter zu unterstützen. Ein Bund fürs Leben zwischen Freunden fürs Leben – auch die Gesundheit und Lebenserwartung würde das freuen.
Zum Buch: „Freunde machen gesund“
In ihrem Buch „Freunde machen gesund“ zeigt die Psychologin Ulrike Scheuermann anhand wissenschaftlicher Studien, warum unsere sozialen Kontakte der Schlüssel zu einem langen Leben sind. Zudem gibt sie Anregungen, wie man seine Beziehungen vertieft und sein Netzwerk ausbaut. Das Buch ist bei Droemer Knaur erschienen und kostet 20 Euro.