Warum das Glück bis zur Lebensmitte nachlässt – und im Alter wieder steigt
Die Glückskurve des Lebens? Forscher haben sie ermittelt. Ab Mitte 20 verflüchtigt sich das Glück. Doch keine Angst: Es kommt zurück.
Das Glück vermessen zu wollen, klingt eigentlich genau so: ziemlich vermessen. Schließlich handelt es sich um ein sehr unstetes Gefühl: Wir können uns in einem Moment freuen und schon im nächsten wieder tieftraurig sein.
Doch bei allen spontanen Gefühlsausbrüchen gibt es Faktoren, die dauerhaft unsere Lebenszufriedenheit beeinflussen, die quasi für das emotionale Grundgerüst sorgen. Dazu zählen beispielsweise das Einkommen, die Familie, die Arbeits- oder Wohnsituation oder die Gesundheit. Und unsere Zufriedenheit mit all diesen Teilbereichen des Lebens können Wissenschaftler anhand von Fragebögen sehr wohl messen. Aus den Ergebnissen formen sie eine Glückskurve.
Jugendliche Naivität
Ihr Verlauf zeigt, dass das Glück nicht nur kurzfristig schwankt, sondern auch während des Lebens mal stärker, mal schwächer ausgeprägt ist. Am zufriedensten sind wir mit Anfang 20, danach geht es stetig abwärts. Ihren Tiefpunkt erreicht die Glückskurve mit Mitte 50, ehe sie wieder ansteigt und im Rentenalter gar das Niveau von Anfang 30 erreicht. Dieses Phänomen ist nicht nur hierzulande zu beobachten: „In jedem westlichen Land der Welt kippt das Glück ab Mitte 20“, sagt Bernd Raffelhüschen, Professor an der Universität Freiburg, der die Glückskurve für Deutschland ermittelt.
Warum die Kurve einen U-förmigen Verlauf nimmt, darüber können Glücksforscher nur mutmaßen. Es gebe naheliegende Zusammenhänge, aber keine Beweise, so Raffelhüschen. Die hohe Zufriedenheit der Teenager führt er beispielsweise auf ihre geringe Lebenserfahrung zurück. „Junge Menschen sind noch etwas blauäugig und naiv.“ Die Verantwortung und Bürden des Alltags? Alles noch weit weg! Die Möglichkeiten scheinen mit 20 noch unendlich und nicht begrenzt; das Leben bedeutet noch mehr Freiheit als Kompromiss.
Midlife-Krise zeichnet sich in der Glückskurve ab
Doch das ändert sich, je mehr Job und Familie den Alltag prägen und die Belastungen zunehmen. Karriere, Kinder oder gar ein eigenes Heim mögen für viele zwar zu einem erfüllten, glücklichen Leben dazugehören. Das vermeintliche Glück hat aber auch seinen Preis. „Karriere bedeutet Ellenbogen, Familie bedeutet Stress“, betont Raffelhüschen. Entsprechend geht es mit der Glückskurve ab 40 deutlich abwärts. Es ist die Phase, die Soziologen gern als die „Rushour“ des Lebens bezeichnen. Beruf, Familie, Freizeit: Alles kommt zusammen und will organisiert werden – und zwar möglichst ohne irgendwo Abstriche zu machen. Und das schlaucht.
Es ist zugleich die Zeit, in der viele realisieren, dass wohl nicht alle Lebensträume in Erfüllung gehen werden. Beziehungen zerbrechen, Karrieren versanden, Hoffnungen platzen. Auch der Blick in den Spiegel signalisiert uns immer deutlicher, dass wir nicht mehr zur Jugend gehören. Das zu akzeptieren, fällt uns aber noch schwer. All dies sind die Zutaten für die berühmte Midlife-Krise. Wie ein „Hängebauch“ zeichnet sie sich in der Glückskurve ab.
Lebenserfahrung schützt uns vor Enttäuschungen
Ab Mitte 50 geht es aber wieder aufwärts. Der Erfolgsdruck im Job nimmt ab, die Verbissenheit weicht einer gewissen Gelassenheit. Die Kinder verlassen das Haus und geben ihren Eltern ein Stück Freiheit und Selbstbestimmung über ihr Leben zurück, die sie fortan wieder auskosten können: für Reisen oder ein neues Hobby etwa.
Und wir profitieren von unserer Lebenserfahrung. „Man lernt, sein Leben besser zu leben”, sagt der Glücksforscher Angus Deaton. Der Begriff „Altersweisheit“ kommt nicht von ungefähr. Dank unseres angesammelten Wissens, der zunehmenden Gelassenheit und des geschärften Urteilsvermögens können wir Situationen besser einschätzen. Das bewahrt uns vor Enttäuschungen: „Mit 25 verabreden wir uns noch mit Leuten, von denen wir mit 50 wissen, dass wir sie besser nicht treffen sollten”, sagt Deaton, der für seine Arbeit mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.
Ältere sind fitter und aktiver als je zuvor
Auch fällt es uns nun zunehmend leichter, die Spuren des Alterns und die aufkommende Wehwehchen zu akzeptieren. Das zeigt, dass das empfundene Glück immer auch relativ ist – abhängig von den eigenen Erwartungen. 50-jährige Männer und Frauen sind in den meisten Fällen zweifellos fitter als 60-jährige, was sie aber nicht automatisch zu glücklicheren Menschen macht, wenn sie überzogene Maßstäbe an sich selbst anlegen.
Generell ist die Zufriedenheit mit der Gesundheit jedoch gestiegen – vor allem bei den Älteren. Zu Recht, wie Raffelhüschen findet: „Der Alte von heute ist nicht mehr der Alte von gestern. Ein 70-Jähriger hat den Gesundheitszustand eines 60-Jährigen vor einer Generation.“ Nie waren Senioren gesünder und damit auch aktiver und mobiler als heute. All das erklärt die hohe Zufriedenheit der Generation 60+. Und das zieht auch das Glücksgefühl der Deutschen insgesamt nach oben. „Eine alternde Gesellschaft ist eine zufriedenere Gesellschaft“, schlussfolgert Raffelhüschen.
Frauen im Alter unglücklicher als Männer
Der Knackpunkt im Leben kommt erst dann, wenn der Körper nicht mehr mitmacht und man sich kaum noch bewegen kann. „In dem Moment, wo sich ein Mensch nicht mehr mobil fühlt, nimmt die Zufriedenheit rapide ab“, sagt Raffelhüschen. Auch der Verlust des Lebenspartners bedeutet einen schweren Schlag. Das erklärt auch, warum das weibliche Geschlecht am Lebensende oft unglücklicher ist. „Frauen haben eine höhere Lebenserwartung als Männer. Im Alter sind sie deswegen oft alleinstehend. Das hat Auswirkungen auf ihr Lebensglück“, sagt Raffelhüschen.