Radfahren

26.06.2020

Tritt in die Pedale! Für ein lan­ges Leben...

Radfahren hält körperlich und geistig fit. Die positiven Effekte auf die Gesundheit machen sich auch in einer deutlich höheren Lebenserwartung bemerkbar.

© Uwe Umstaetter / Getty Images/Westend61

Dieser Frankfurter macht es richtig:  Er radelt zur Arbeit.

Wenn es einen Gewinner der Corona-Pandemie gibt, dann ist es wohl das Fahrrad. Kaum einer der rund 76 Millionen Drahtesel in Deutschland scheint gerade in Kellern oder Garagen zu verstauben. Manche schwingen sich aufs Rad, um dem Heimkoller zu entfliehen. Andere schreckt die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen ab. Vor Fahrradläden bilden sich lange Schlangen. Die Nachfrage nach Citybikes, Rennrädern & Co. boomt. 

Dabei ist das Fahrrad viel mehr als nur eine Möglichkeit, um von A nach B zu kommen. Es ist ein mobiles Fitnessstudio, ein Transportmittel, das uns wie kein anderes körperlich fordert. Jeder Tritt in die Pedale verlängert die zurückgelegte Strecke – und zugleich auch unser Leben. Genau genommen um 3,7 Jahre, wie eine dänische Studie berechnete. Radfahren steht damit auf Platz 4 der gesündesten Sportarten

Herz-Kreislauf-System profitiert am meisten vom Radfahren

Niederländische Forscher sehen in der Radfahrtradition ihres Landes sogar eine Ursache, warum das Königreich mit rund 82 Jahren eine der höchsten Lebenserwartungen Europas besitzt. Mindestens sechs Monate davon „erradeln“ sich die Niederländer. Rund 6500 vorzeitige Todesfälle können jährlich verhindert werden, weil jeder Einwohner pro Woche 74 Minuten auf dem Fahrrad verbringt. Damit der Ausdauersport seine volle Wirkung entfaltet, darf es für Experten aber durchaus etwas mehr sein. Ideal: 30 Minuten, fünf Mal die Woche. Dann wird Radeln zu einem wahren Ganzkörpertraining, das nahezu jedem Organ guttut.

Am meisten profitiert das Herz-Kreislauf-System. Beim Tritt in die Pedale wird zwei- bis dreimal so viel Blut durch die Gefäße gepumpt. Das stärkt den Herzmuskel, steigert die Pumpfunktion des Herzens und sorgt für eine bessere Blutzirkulation, weil Arterien und Venen sich weiten und elastischer werden. In der Folge sinken Blutdruck, Ruhepuls und die Gefahr für so manche Zivilisationskrankheit. Wissenschaftler der Universität Glasgow wollten es genau wissen und analysierten die Gesundheits- und Sterbedaten von fast 300.000 Pendlern. Ihre erstaunliche Bilanz: gegenüber Nutzern von Auto, Bus oder Bahn war das Sterberisiko von Radfahrern um 41 Prozent verringert. Die Wahrscheinlichkeit, Krebs oder einer Herz-Kreislauf-Erkrankung wie Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erliegen, sank bei ihnen um 40 beziehungsweise 52 Prozent.

Radeln erhöht die Sauerstoffzufuhr und stärkt die Muskeln

Auch die Atemwegen genießen jede einzelne Radtour, da die Lunge während des rhythmischen Tretens mit doppelt so viel Sauerstoff durchflutet wird wie im Ruhezustand. Das verbessert die Ventilation und stärkt die umliegende Muskulatur. Die Folge: weniger Infekte und Atemwegserkrankungen. Dazu trägt auch das Immunsystem bei, das die Bewegung an frischer Luft widerstandsfähiger macht. So haben Berufstätige, die sommers wie winters mit dem Rad zur Arbeit fahren, im Durchschnitt ein Drittel weniger Krankheitstage vorzuweisen. Verantwortlich dafür sind immunrelevante Substanzen, die vor allem im Blut von Radlern, die sich unterschiedlichen Kälte- und Wärmereizen aussetzen, erhöht sind. Laut einer britischen Studie kann Biken sogar die Immunabwehr „verjüngen“. Die Wissenschaftler maßen bei älteren Radfahrern die Anzahl der für die Resistenz gegen Krankheiten so wichtigen T-Zellen. Und siehe da: Es waren ähnlich viele wie bei Jugendlichen.

Ohnehin hält Radeln so manchen Alterungsprozess auf. Den Verlust von Muskelmasse zum Beispiel. Vor allem in den Beinen und Armen, aber auch im Rückenbereich. Durch die runden Trittbewegungen werden nämlich auch die kleinen, tieferliegenden Muskeln zwischen den Wirbeln trainiert. Das stabilisiert die Wirbelsäule und hilft gegen Rückenleiden. Gleichzeitig schont Radfahren die Gelenke, da der Sattel rund 70 Prozent des eigenen Körpergewichts trägt. Wer etwas davon loswerden will – vielleicht das ein oder andere angefutterte „Corona-Kilo“ – hat gute Karten: 350 bis 800 Kalorien verbrennen pro Stunde. Die meisten davon stammen aus den Fettdepots.

Radfahren kurbelt Nervenwachstum an

Der bekennende Zweirad-Fan Albert Einstein schätzte das Fahrrad hingegen aus einem ganz anderen Grund. Abschalten und nachdenken – das konnte der Nobelpreisträger am besten beim Radeln. Auch die Idee zur Relativitätstheorie kam ihm nach eigenen Aussagen, als er im Sattel saß. Radfahren verändert unsere Körperchemie. Denn wir bewegen uns – und „erleben“ obendrein etwas. Wir hören das Vogelgezwitscher, riechen den Duft der Blumenwiese, sehen andere Menschen und entdecken unsere Stadt. Diese Kombination setzt Glückshormone frei, schwemmt massig Nährstoffe und sauerstoffreiches Blut ins Gehirn, befreit den Kopf von Alltagssorgen, macht konzentrierter und kognitiv leistungsfähiger. Zudem werden nach 30 Minuten Radeln Neurotrophine ausgeschüttet, Signalstoffe also, die das Nervenwachstum ankurbeln. Eine wichtige Erkenntnis – vor allem im Kampf gegen Demenz und Depressionen.

Die Corona-Krise könnte nun dazu beitragen, dass mehr Menschen dauerhaft aufs Fahrrad umsteigen. Die Städte fördern den überraschenden Boom: Ob München, Stuttgart oder Berlin – überall wurden Radwege verbreitert und Autospuren in sogenannten Pop-up-Radwege umgewidmet. Allein in der Hauptstadt kamen so bis Juni 2020 rund 22 Kilometer an Fahrradstreifen hinzu. Dass sie langfristig bleiben, wäre wünschenswert. Denn jeder Kilometer Radweg ist mehr als nur ein Stück Asphalt. Er ist ein Lebensverlängerer.