Lebensarbeitszeit

19.02.2018

Stei­gende Lebens­er­war­tung rüt­telt an Rente mit 67

Das Renteneintrittsalter steigt bis 2031 auf 67 Jahre. Doch das reicht nicht, sagen Experten. Eine weitere Anhebung sei nötig – und auch gerechtfertigt.

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Noch mit 68 an der Hobelbank: Wissenschaftler empfehlen, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln.

Die gesetzliche Rente ist zweifellos eine große soziale Errungenschaft. Als Reichskanzler Otto von Bismarck die Versicherung 1891 in Deutschland einführte, profitierten jedoch nur wenige Menschen davon. Das Rentenalter von 70 Jahren erreichte nur rund ein Drittel der Bevölkerung. Und selbst diejenigen, die es bis dahin schafften, konnten ihren Ruhestand nicht lange genießen. Nach knapp zehn Jahren verstarben die Rentner im Schnitt.

Heute verbringen die Deutschen hingegen wesentlich mehr Zeit im Ruhestand. Zum einen liegt die Regelaltersgrenze mit aktuell 65 Jahren und 7 Monaten niedriger als zu Bismarcks Zeiten. Zugleich ist die Lebenserwartung deutlich gestiegen. Ein heute 65-jähriger Mann kann im Schnitt mit noch knapp 20 Jahren rechnen, eine gleichaltrige Frau hat sogar 23 Jahre vor sich.

Rentenbeitrag hat sich seit dem Start verzehnfacht

Mehr Leistungen für immer mehr Menschen – das kostet. Betrug der Beitragssatz zum Start der Rentenversicherung nur 1,7 Prozent, so liegt er inzwischen bei 18,6 Prozent des Einkommens. Doch wie weit lässt sich das treiben; welche Belastungen sind den Arbeitnehmern noch zumutbar? Der Druck auf die Sozialsysteme jedenfalls hält an. Denn die Lebenserwartung steigt unvermindert, und sie ist ja nur ein Symptom des demografischen Wandels. Es kommen zugleich wenige Kinder nach, die mit ihren Beiträgen die Renten der Alten bezahlen müssen.

Immer mehr Experten sprechen sich daher für einen späteren Renteneintritt aus, damit die Beiträge nicht zu stark steigen. Zwar ist die stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bis 2031 bereits beschlossene Sache. Ökonomen wie Christian Hagist geht der Schritt aber nicht weit genug: „Ein höheres Renteneintrittsalter oder sogar eine Koppelung dessen an die Lebenserwartung ist und bleibt eine ökonomische Notwendigkeit“, betont der Inhaber des Lehrstuhls Generationenübergreifende Wirtschaftspolitik an der Otto Beisheim School of Management Vallendar.

Starres Rentenalter unvereinbar mit längerer Lebensdauer

Auch James W. Vaupel plädiert dafür, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln, wie es bereits in Dänemark der Fall ist. Als Argument macht der Direktor des Max-Planck-Instituts für Demografische Forschung in Rostock eine plakative Rechnung auf: „Stellen Sie sich vor, wir werden eines Tages 300 Jahre alt. Dann wären wir 233 in Rente.“

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Bliebe es bei der Rente mit 67, hätten die im Jahr 2000 Geborenen einen rund vier Jahre längeren Ruhestand als der Jahrgang 1964.

Es braucht nicht mal dieses zugespitzte Beispiel, um zu erahnen, wie starre Altersgrenzen die Finanzierung der Rente auf Dauer erschweren. Denn schon zwischen den heute lebenden Generationen tun sich absehbar große Unterschiede auf. Die 1964 Geborenen sind die ersten, die regulär mit 67 in Rente gehen werden. Die Frauen des Jahrgangs können nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes dann noch auf knapp 23 Lebensjahre hoffen, die Männer auf durchschnittlich knapp 20. Ihre im Jahr 2000 geborenen Kinder hätten hingegen schon vier Jahre mehr Rente zu erwarten, wenn sie sich ebenfalls mit 67 aus dem Berufsleben verabschieden dürften (siehe Grafik).

Politik scheut Debatte um längere Lebensarbeitszeit

Die Politik verschließt davor (noch) die Augen. Im Bundestagswahlkampf blieb die Diskussion über ein höheres Renteneintrittsalter aus. Wer will schon seine Wahlchancen mit einem so unpopulären Thema schmälern?  Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD nun darauf verständigt, den Beitragssatz von aktuell 18,6 Prozent bis 2025 so zu belassen. Damit wird der Status quo zementiert, Antworten zur  Zukunft der Rente bleiben die mutmaßlich künftigen Regierungsparteien vorerst schuldig. Dafür soll erst eine Kommission Vorschläge liefern, die mit Vertretern von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und der Wissenschaft besetzt ist.

Wie es nach 2031 weitergehen könnte, wenn die Rente mit 67 vollends abgeschlossen sein wird, dafür hat Axel Börsch-Supan eine Formel entwickelt. Der Direktor des Munich Center for the Economics of Aging (MEA) schlägt vor, das Mehr an Lebenszeit im Verhältnis zwei zu eins aufzuteilen. Heißt konkret: Steigt die Lebenserwartung um drei Jahre, wird ein Jahr mehr Ruhestand durch zwei Jahre längeres Arbeiten finanziert.

Gewerkschaften sind gegen höheres Rentenalter

Bei den Gewerkschaften stößt die Idee jedoch auf wenig Gegenliebe. „Viele Arbeitnehmer schaffen es aus gesundheitlichen Gründen schon heute nicht bis zum Renteneintrittsalter“, sagt Ingo Schäfer, Referatsleiter Alterssicherung und Rehabilitation beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Dies treffe beispielsweise auf Dachdecker zu, von denen die meisten bereits mit Ende 50 ihren Job nicht mehr ausüben könnten. Keine Ausnahme: Laut DGB arbeiteten 2014 nur jeder fünfte Mann und jede vierte Frau bis 65. Alle anderen seien vorzeitig ausgeschieden. „Wer länger arbeiten möchte, kann das auch schon heute tun, aber eben freiwillig“, so Schäfer.

James W. Vaupel hält dagegen: „Wir gewinnen nicht nur Lebenszeit dazu, sondern ebenso gesunde Jahre.“ Auch Börsch-Supan ist davon überzeugt, dass längeres Arbeiten für rund 80 Prozent der Bevölkerung kein Problem wäre, die restlichen 20 Prozent müsse man unterstützen. „Wenn der fitte Teil der Bevölkerung länger arbeitet, haben wir mehr Mittel zur Unterstützung der problematischen Fälle“, so der Direktor des MEA. Ein späterer Ruhestand – und damit verbunden auch höhere Rentenansprüche – seien letztlich im Interesse der Menschen, argumentiert Börsch-Supan: „Das größte Armutsrisiko ist, dass immer mehr Menschen 100 Jahre alt werden, die Deutschen aber mit 63 Jahren in Rente gehen.“