Lebenserwartung

11.12.2024

So viele Lebens­jahre ver­lie­ren die Euro­päer

Vermeidbare Risiken wie Rauchen, Fettleibigkeit und starker Alkoholkonsum kosten die Europäer immer noch viel Lebenszeit, besonders die Männer. Sie haben gegenüber den Frauen aber etwas aufgeholt, zeigt eine Studie.

© Unsplash / Doğukan Şahin

Nichts raubt so viel Lebenszeit wie das Rauchen

Dass Frauen am längsten leben, liegt in erster Linie an den Männern selbst. Denn nicht die Gene haben den größten Einfluss auf die Lebenserwartung, sondern der Lebensstil. Und der ist bei den Männern eher etwas rauer: Sie begehen mehr tödliche Unfälle, gehen seltener zu Vorsorgeuntersuchungen oder sind häufiger in Gewaltdelikte verstrickt. Vor allem aber gehen sie häufiger vermeidbare Gesundheitsrisiken ein. Sie rauchen öfter, trinken mehr Alkohol und ernähren sich ungesünder.

Europaweit haben die Männer in den vergangenen Jahrzehnten jedoch etwas aufgeholt. Das zeigt eine Studie eines niederländischen Forscherteams, die bereits 2021 veröffentlicht wurde. Darin wurde für den Zeitraum von 1990 bis 2014 der Effekt von drei Lebenszeit verkürzenden Verhaltensweisen auf die Lebenserwartung untersucht: Rauchen, starker Alkoholkonsum und Fettleibigkeit – als Ausdruck einer ungesunden Ernährung und von zu wenig Bewegung. 

Frauen büßen an Vorsprung ein

Diese drei Effekte kombiniert kosteten die europäischen Männer 1990 noch 6,6 Jahre an Lebenszeit, 2014 waren es 5,8 Jahre. Der Rückgang ist vor allem das Ergebnis eines sinkenden Zigarettenkonsums. Der isolierte negative Effekt des Rauchens auf die Lebenserwartung sank von 4,9 auf 3,4 Jahre. Bei den Frauen sieht die Entwicklung anders aus: Drückten die verhaltensbasierten Gesundheitsrisiken die Lebenserwartung 1990 nur um 0,6 Jahre, büßten sie 2014 deswegen bereits 2,3 Jahre ein. Die Frauen leben zwar immer noch deutlich gesünder, ihr Vorsprung ist allerdings geschmolzen.

Das gilt auch für die Lebenserwartung insgesamt. Sie stieg bei den Männer zwischen 1990 und 2014 von 69,3 auf 74,3 Jahre und damit stärker als bei den Frauen (77,3 zu 81,3 Jahre). Die Differenz zwischen den Geschlechtern schrumpfte von acht auf sieben Jahre. Der Anstieg der Lebenserwartung geht insbesondere auf medizinische Fortschritte zurück, bei den Männer eben teilweise auch auf veränderte Verhaltensweisen. Das ist einerseits eine positive Entwicklung. Nur: Es ginge noch mehr, wie die Studie zeigt. Das gilt vor allem für die Männer, die trotz ihrer Fortschritte weiterhin mehr Lebensjahre durch vermeidbare Gesundheitsrisiken verlieren.

Weitere Erfolge setzen allerdings voraus, dass nachfolgende Generationen gesünder leben. Dahinter stehen zunehmend Fragezeichen. Denn die Erfolge beim Rückgang des Rauchens werden immer stärker aufgezehrt durch die negativen Effekte des Übergewichts. Fettleibigkeit kostete die Männer 1990 isoliert betrachtet etwa 0,8 Lebensjahre, 2014 waren es schon 1,4 Jahre. Auch bei den Frauen zeigt sich der Trend, wenngleich auf niedrigerem Niveau: 1990 betrug der Verlust noch ein Lebensjahr, 2014 waren es 1,2 Jahre.

Das Problem: Viele Menschen in Europa bewegen sich zu wenig, was erhebliche gesundheitliche Risiken mit sich bringt. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) treiben 45 Prozent der Menschen in der Europäischen Union nie Sport. Jeder Dritte hat nicht ausreichend Bewegung. Dieser Bewegungsmangel erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und verschiedene Krebsarten. Zudem kann er zu psychischen Problemen wie Depressionen und Adipositas führen. Schon Kinder bewegen sich heutzutage oft zu wenig, was für die Zukunft nichts Gutes verheißt.

Großes Alkoholproblem in Osteuropa

Auch der Alkoholmissbrauch kostet die Europäer – allen voran die Männer – noch immer beträchtliche Lebenszeit, im Schnitt 1,8 Jahre. Der Wert ist zwischen 1990 und 2014 sogar leicht gestiegen, was jedoch einzig auf das grassierende Alkoholproblem in Osteuropa zurückgeht. Männer in den früheren Sowjetrepubliken Estland, Ukraine, Russland, Belarus, Lettland oder Litauen büßen durchschnittlich fast drei Lebensjahre ein. Zum Vergleich: In den nordeuropäischen Ländern wie Dänemark, Schweden oder Norwegen liegt der „Lebenszeitverlust“ nur bei 0,8 Jahren und hat sich gegenüber 1990 praktisch nicht verändert. 

Skandinavien ist damit auch ein gutes Beispiel, wie die Politik das individuelle Gesundheitsverhalten positiv beeinflussen kann. Im Norden Europas wird Alkohol hoch besteuert und sehr restriktiv verkauft. So gibt es beispielsweise in Schweden, Finnland oder Norwegen Hochprozentiges nur in staatlichen Geschäften zu kaufen. Die Studien-Ergebnisse belegen den Erfolg dieser Politik und könnten für andere Länder ein Ansporn, ebenfalls mehr gegen den Alkoholmissbrauch zu tun. 

Politik kann Gesundheitsverhalten positiv beeinflussen

So wie auch der Rückgang der Raucherquote auf die Intervention der Politik zurückgeht. Viele Länder, darunter auch Deutschland, haben in den vergangenen Jahrzehnten strenge Gesetze zum Schutz vor Passivrauchen oder Werbeverbote eingeführt und die Tabaksteuer erhöht, um den Konsum zu reduzieren. Zudem gibt es vermehrt Aufklärungskampagnen, die über die gesundheitlichen Risiken des Rauchens informieren und Unterstützung bei der Raucherentwöhnung bieten. 

Niemand kann heute mehr behaupten, nichts vom schädlichen Effekt des Rauchens zu wissen. Nur dass auch zu wenig Bewegung oder schlechtes Essen erhebliche Gesundheitsrisiken birgt, das muss sich vielleicht noch stärker rumsprechen.