Alkoholkonsum

13.07.2018

Schon ein Bier am Tag kann das Leben ver­kür­zen

Zehn Millionen Deutschen trinken so viel, dass ihre Gesundheit darunter leidet. Schon das berühmte Feierabendbier hat Einfluss auf die Lebenserwartung.

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Ein Treff mit Freunden auf ein Bier ist völlig okay. Gefährlich wird es erst, wenn der Griff zur Flasche zur Gewohnheit wird.

Seien Sie einmal ganz ehrlich zu sich selbst: Wann haben Sie bei einer Geburtstagsparty, einem After-Work-Barbesuch oder beim Fußballschauen mit Freunden mal keinen Alkohol getrunken? Wenn Sie jetzt ins Grübeln kommen, geht es Ihnen wahrscheinlich wie 97 Prozent aller Deutschen, die zumindest ab und zu etwas Promillehaltiges konsumieren.

Bier, Wein und Sekt sitzen eigentlich immer mit am Tisch. Sie lockern die Zunge beim ersten Date, machen einen zur Spaßkanone auf dem Dorffest und lassen den Stress im Job für einen Moment vergessen. Meterlange Spirituosen-Regale im Supermarkt und der Werbespot voller attraktiver Menschen, die – dem Aperol Spritz sei Dank – einen fröhlichen Abend verleben: Alkohol ist allgegenwärtig und die einzige Droge, die es geschafft hat, als kultiviert zu gelten. Eine edle Whisky-Sammlung ist fast so statussymbolisch wie ein teures Auto. Wer in geselliger Runde hingegen lieber an der Saftschorle nippt, wird nicht selten als Sonderling belächelt.

Jeder Sechste trinkt zu viel

Auch Sebastian Mueller hat sich früher kaum Gedanken über das Thema gemacht: „Viele Jahre hatte ich überhaupt keine Vorstellung, was Alkohol anrichten kann. Als junger Mensch trinkt man mit viel Naivität.“ Mittlerweile hat er diese allerdings verloren. Mueller ist Medizinprofessor und Ko-Direktor des Zentrums für Alkoholforschung am Universitätsklinikum Heidelberg. Täglich hat er es mit Patienten zu tun, die die Folgen des Alkoholkonsums bitter zu spüren bekommen: Leberzirrhose und Pankreatitis, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebsleiden von Rachenraum bis Magen-Darm-Trakt. Rund 200 Krankheiten stehen mit dem Alkoholtrinken in Zusammenhang. Etwa 75.000 Todesfälle sind in Deutschland pro Jahr zu beklagen – fast zehn Prozent aller Verstorbenen. Damit liegt Alkohol hinter Tabak und Bluthochdruck an dritter Stelle der lebensverkürzenden Risikofaktoren.

„Das Problem ist viel größer als zum Beispiel das Thema Verkehrstote. Was mich dabei immer wieder wundert: Genmanipulierte Lebensmittel sind verpönt, aber Alkohol – ein Nervengift – flößen wir uns ohne groß nachzudenken ein“, so Mueller. Dabei gehe es nicht nur um die starken Trinker, die sich zwei Tetra Packs Wein am Tag einverleiben. Die seien eher eine Minderheit. Wesentlich bedenklicher sei der alltägliche Alkoholkonsum in der Gesellschaft. So stehen zwei Millionen Abhängigen rund zehn Millionen Risikotrinker gegenüber. Das heißt, hierzulande geht jeder Sechste über 15 Jahre leichtfertig mit Alkohol um und läuft Gefahr, Schäden davonzutragen.

2,5 Liter Bier pro Woche kosten ein halbes Lebensjahr

Doch wie viel ist zu viel? Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung wird es für Männer ab 140 Gramm Reinalkohol pro Woche kritisch – das entspricht 3,5 Liter Bier oder zwei Liter Wein . Bei Frauen sind es 70 Gramm, also zwei Liter Bier oder ein Liter Wein. Von der Realität sind solche Richtwerte allerdings weit entfernt. Im Jahr 2016 pichelten die Deutschen rund 9,5 Liter reinen Alkohol – das sind pro Kopf wöchentlich etwa 165 Gramm. Enthalten waren diese in 134 Liter Bier, Wein, Schaumwein und Spirituosen. So viel wie in eine gut gefüllte Badewanne passt.

Neueste Studien weisen jedoch darauf hin, dass bereits weitaus geringere Mengen wertvolle Lebenszeit „wegspülen“. Ein internationales Forscherteam wertete erst kürzlich die Gesundheitsdaten von über 600.000 Menschen aus 19 Wohlstandsstaaten aus. Zentrales Ergebnis: Schon der Konsum von 100 Gramm (2,5 Liter Bier oder 1,4 Liter Wein) in der Woche kann die Lebenserwartung eines 40-Jährigen um sechs Monate verkürzen. Wer 350 Gramm (ein Bierkasten mit 20 0,5-Liter-Flaschen) zu sich nimmt, verschenkt bis zu fünf Jahre. Gehören noch größere Mengen Alkohol zum wöchentlichen Pensum, kann sich die Zeit auf Erden sogar um 20 Jahre reduzieren. Frauen sterben dann im Durchschnitt mit 60, Männer mit 58 Jahren.

Frauen trinken mittlerweile so viel wie Männer

Oft ist der Grat schmal, der zwischen gelegentlichem Trinken und Abhängigkeit verläuft, wie Alkoholforscher Mueller sagt. „Sobald eine Regelmäßigkeit eintritt und Alkohol als Problemlöser herhalten muss, sollte man seinen Konsum ernsthaft hinterfragen.“ Gefeit vor dem schleichenden Abrutschen sei dabei kaum jemand. Muellers Patienten: ein Spiegelbild der Gesellschaft. Von alt bis jung, von bitterarm bis schwerreich, vom Arbeitslosen bis zum Top-Anwalt. Alkohol kennt keine sozialen Schichten.

Und seit Ende des 20. Jahrhunderts auch kein Geschlecht mehr. Denn griffen Männer früher etwa dreimal so häufig zur Flasche, haben Frauen mittlerweile gleichgezogen. Die gesundheitlichen Folgen indes kennt kaum jemand: Das Risiko für Herz- und Gehirnschäden ist bei Frauen signifikant höher; die Wahrscheinlichkeit, eine hormonelle Störung davonzutragen und dadurch an Brustkrebs zu erkranken, kann sich durch Alkohol um bis zu 40 Prozent steigern – und das schon durch 0,3 Liter Wein am Tag.

Alkohol ist keine Medizin

Trotzdem gibt es Studien, die Alkohol auch immer wieder als Heilmittel preisen. Tequila soll Osteoporose vorbeugen, heißt es da, Bier schützt vor Demenz und das abendliche Glas Rotwein kommt einem Wellness-Schoppen gleich, der unser Herz fit hält. „Jeder Studie, die etwas Positives zum Thema Alkohol gefunden haben will, sollte man mit größter Vorsicht begegnen und nicht als Freibrief betrachten“, sagt Mediziner Mueller. Oft stammen die Ergebnisse lediglich aus Tierversuchen und die „guten“ sekundären Pflanzenstoffe kommen in moderaten Alkoholportionen sowieso in viel zu geringen Mengen vor.

Auch hinter dem Fakt, dass Menschen, die in Maßen trinken, statistisch etwas länger leben als Abstinenzler, vermutet der Alkoholforscher eine recht einfache Erklärung: „Wer von sich aus nichts trinkt, hat eventuell unwissentlich ein genetisches Problem, zum Beispiel mit der Leber. Ähnlich wie bei einer Erkältung könnte dieses intuitiv die Lust auf Alkohol verhindern.“

Leberschäden können früher erkannt werden

Trotz aller Risiken – von strikten Verboten und dem erhobenen Zeigefinger hält Alkoholforscher Mueller nicht viel. Auch er genehmige sich ab und zu einen Kräuterlikör. Niemand müsse abstinent leben, jeder sollte aber sein Maß kennen. Doch das tun durch mangelnde Aufklärung nur die wenigsten. „Das Problem ist, dass insbesondere Leberschäden zunächst nicht schmerzhaft sind. Man spürt sie erst, wenn es schon zu spät ist“, so der Mediziner. Selbst bei Check-ups werde in 50 Prozent der Fälle eine beginnende Leberzirrhose übersehen. Die Patienten gingen in dem Glauben nach Hause, ihre Leberwerte seien okay. Ein Trugschluss, sagt Mueller: „Was wir brauchen, sind Leberscreenings, denn entscheidend ist die Leberhärte. Die zu untersuchen, dauert fünf Minuten.“ Im Leistungskatalog der Krankenkassen ist diese Methode jedoch bisher nicht enthalten.

Auch eine Kehrtwende nach dem Vorbild Schottlands sieht der Alkoholforscher als dringend notwendig an: Seit 1. Mai 2018 gilt dort der Mindestpreis von 50 Pence (derzeit rund 57 Cent) pro zehn Milliliter purem Alkohol. „Es kann einfach nicht sein, dass wir in einem Land leben, in dem eine Flasche Bier billiger ist als eine Flasche Wasser“, findet Mueller. Letztendlich liegt es aber an uns, ob wir die Risiken ernstnehmen. Denn nach jedem Rausch kommt bekanntlich der Kater. Ist es dauerhaft eine Flasche Bier zu viel, wird es nicht bei ein paar Stunden Kopfschmerzen bleiben.