Sänger leben länger
Musik hören die Deutschen gern. Doch wir sollten öfter auch mal selbst die Tonleiter erklimmen. Denn Singen macht glücklich und gesund.
Wer schon einmal in einem Chor gesungen hat, wird dieses Hochgefühl kennen: Perfekt setzen die Stimmen nach einander ein, vereinen sich zu einem Klanggemälde, bis Ensemble und Dirigent – je nach Stück – euphorisch, andächtig oder melancholisch auf der gleichen „Wellenlänge“ schwingen und das Publikum anschließend begeistert applaudiert. Viele Musikwissenschaftler, Gesangstherapeuten und auch Mediziner sind sich mittlerweile einig: Der Beifall ist nicht der einzige Lohn für Sängerinnen und Sänger. Wer regelmäßig trällert, verbessert nachweislich seine Gesundheit.
„Seit rund 20 Jahren wird das Thema erforscht und die Ergebnisse sind überwältigend positiv. Sowohl hinsichtlich seelischer als auch körperlicher Wirkungen“, sagt Gunter Kreutz, Musikpsychologe von der Universität Oldenburg und selbst leidenschaftlicher Sänger in einem Kirchenchor. Eine der ersten Studien, durchgeführt in Schweden mit über 12000 Teilnehmern aus allen sozialen Schichten, stellte sogar fest: Mitglieder von Gesangsgruppen haben eine signifikant höhere Lebenserwartung als Menschen, die selten oder nie ihr Gesangsorgan trainieren.
Singen stärkt die Abwehrkräfte
Wissenschaftler Kreutz und sein Forscherteam konnten erstaunliche Gesundheitseffekte nachweisen. Musikalischer Gegenstand ihrer Studie: Mozarts Requiem, das eine Gruppe von Chormitgliedern singen, eine andere nur passiv vom Band lauschen sollte. Fünf Minuten davor und danach wurden jeweils Speichelproben genommen. Im Labor dann die Überraschung: Während sich bei den Zuhörern keine Veränderungen zeigten, war bei all jenen, die aktiv musiziert hatten, die Anzahl der Immunglobuline A stark angestiegen.
Diese Antikörper bilden an den Schleimhäuten einen Schutz vor Krankheitserregern und signalisieren durch eine hohe Konzentration: Dieses Immunsystem ist robust. „Davon können gesunde, besonders aber chronisch kranke Menschen profitieren“, so Kreutz. Zum Beispiel Krebspatienten, wie britische Forscher festgestellt haben. Schon nach einer Stunde Chorprobe waren bei ihnen Immunbotenstoffe, die Entzündungen fördern, deutlich gesunken; Werte, die mit dem Tumorwachstum in Zusammenhang stehen, veränderten sich hingegen positiv.
Melodisches Workout
Singen tut noch viel mehr für den Körper: Es ist eine „athletische“ Leistung und Sport gar nicht so unähnlich. Lunge, Kehlkopf, Stimmlippen, Stimmbänder und zahlreiche Muskeln sind daran beteiligt; schon nach zehn bis 15 Minuten kommt das Herz-Kreislauf-System in Schwung – vergleichbar mit der körperlichen Anstrengung bei leichter Gymnastik oder gemächlichem Joggen.
Das A und O dabei: die Atemtechnik. Geübte Sänger atmen nicht in die Brust, sondern tief in den Bauch. Dadurch senkt sich das Zwerchfell, drückt die Eingeweide nach unten und gibt den Lungenflügeln mehr Platz sich zu entfalten. So nehmen wir mehr Sauerstoff auf, der Blutdruck stabilisiert sich, unsere Organe werden besser durchblutet. Im Idealfall erhöht sich dadurch die Herzratenvariabilität, also die Schwingungsbreite der Herzfrequenz. Das macht so manchen Sänger fit wie einen Dauerläufer.
Herzen im Gleichklang
Dabei muss man, um die gesundheitlichen Folgen zu spüren, nicht mal professioneller Opernsänger sein, der täglich seine Arien übt. „Ein- bis zweimal pro Woche für ein bis zwei Stunden, das bringt schon recht viel“, empfiehlt Kreutz. Doch auch Gesangsquickies – sei es unter der Dusche, beim Karaoke, im Fußballstadion oder Auto – haben ihre Wirkung. Vor allem auf unser Wohlbefinden.
Denn mit jeder Liedzeile fluten körpereigene Opiate, Glückshormone wie Beta-Endorphine und Serotonin, den Organismus. Stresshormone wie Cortisol verflüchtigen sich hingegen. Und: Singen wir mir anderen zusammen, produziert unser Gehirn Oxytocin. Das „Kuschelhormon“ wird auch bei der Geburt oder beim Sex ausgeschüttet und sorgt für eine innige Bindung zu den Mitsingenden. Forscher der Universität Göteburg haben diese „Herzensangelegenheit“ sogar nachgewiesen: Schon nach kurzer Zeit gleichen sich die Herzfrequenzen von Sangesfreunden einander an und pegeln sich auf einem gesunden Level ein.
Singen gegen Depression
Im Gesundheitswesen indes spielt Singen als begleitende Therapiemaßnahme bisher kaum eine Rolle. Nur 45 Einrichtungen sind deutschlandweit als „Singende Krankenhäuser“ bzw. „Singende Altersheime“ zertifiziert und setzen bei der Behandlung auch auf die heilsame Kraft des Gesangs. Für Gunter Kreutz könnten es viel mehr sein. „Singen hilft gegen Einsamkeit, wirkt stimmungsaufhellend, macht schmerzunempfindlicher und sorgt für besseren Schlaf. Nicht schlecht für ein Land, in dem so große Mengen Antidepressiva und Schmerzmittel konsumiert werden.“
Dass man keine „schöne“ Stimme hätte und einfach nicht singen könne, sollte sich übrigens niemand einreden lassen, sagt Gunter Kreutz. „Die Technik kann gelernt werden, der Rest kommt von allein.“ Das bestätigt auch eine Studie der University of Texas: Nur 15 Prozent aller Menschen bekommen wirklich keinen geraden Ton heraus. Also Musik an und den Lieblingssong laut mitträllern!