Respekt und Toleranz sind die Basis für eine lange Beziehung
Eine Beziehung fürs ganze Leben wünschen sich viele. Doch wie schafft man das? Unter anderem mit gegenseitigem Respekt und einem Miteinander, das Freiräume lässt.
Ob Ludwig und Charlotte Piller tatsächlich Rekordhalter in Deutschland sind, lässt sich nicht sicher sagen. Berühmt geworden sind sie jedenfalls – für die Dauer ihrer Ehe. Fast 82 Jahre währte sie, ehe Ludwig 2021 starb und 14 Monate nach ihm auch Charlotte. Die Eichen-Hochzeit haben sie geschafft, so heißt das, wenn man 80 Ehejahre vollmacht.
Auch wenn dieses Jubiläum schwer zu erreichen ist: Dauerbeziehungen sind für den Großteil der Deutschen wünschenswert. So betrachten 81 Prozent eine lange, stabile Partnerschaft als Ideal und immerhin 74 Prozent sind überzeugt, dass es ewige Liebe gibt. Dennoch sind Partnerschaften hierzulande nicht gerade ein Dauerbrenner; rund zwei Drittel aller Scheidungen werden nach spätestens 15 Jahren Ehe eingereicht. Auf der anderen Seite ist die durchschnittliche Ehedauer seit 1990 um drei auf 14,5 Jahre gestiegen – auch eine Folge der längeren Lebenserwartung. Und immerhin knapp 20 Prozent aller verheirateten Paare sind seit mindestens einem halben Jahrhundert zusammen.
Basis einer langen Ehe: Gegenseitiger Respekt
Damit Beziehungen so lange halten und obendrein noch glücklich sind, braucht es natürlich mehr als nur viel Lebenszeit. Die unbeschwerte Jugend, die Lehrjahre, eine Familie gründen, ein Haus bauen, Midlife Crisis, Menopause, Ruhestand – wer sein ganzes Leben mit einer Person teilt, geht mit ihr unweigerlich durch Höhen und Tiefen. „Entscheidend ist Respekt“, sagt Psychotherapeut und Buchautor Wolfgang Krüger. „Also die Tatsache, dass man auch bei Konflikten dem anderen Wertschätzung entgegenbringt.“
Ludwig und Charlotte Piller ist das offenbar gelungen, denn sie haben viel zusammen durchgestanden. Gleich nach der Trauung musste Ludwig an die Front. Als der 2. Weltkrieg vorüber war, bauten sie sich mit harter Arbeit eine Existenz auf, zogen zwei Kinder auf, wurden Groß- und Urgroßeltern und standen auch angesichts zunehmender Altersgebrechen Seite an Seite. In Interviews wurden sie oft gefragt, was ihr Geheimnis sei. Die Vermutung der beiden: tolerant sein, offen miteinander sprechen und an einem Strang ziehen. Wer derart handele, so Paar-Experte Krüger, könne einer Beziehung selbst in Krisenzeiten immer wieder neuen Tiefgang verleihen.
Eigenständigkeit und Freiräume bewahren
Auch Julia Grosse wollte das Rezept für lebenslange Liebe ergründen. Dafür besuchte die Historikerin ältere Paare von München bis New York und portraitierte sie in einem Buch. Sie schreibt über Menschen, die nie die Romantik aus den Augen verloren haben, die noch immer leidenschaftlich über Politik diskutieren, geduldig und humorvoll miteinander umgehen und sich stets einen gewissen Freiraum lassen. „Dass man sich seine Eigenständigkeit erhält, ist ungemein wichtig. Zum Beispiel in Form von Hobbys oder Freundschaften. Dann ist man nicht zu sehr voneinander abhängig und es beginnen keine Machtkämpfe“, erklärt Psychotherapeut Krüger.
Sein Kollege John Gottmann ist indes überzeugt, dass hinter Langzeitbeziehungen sogar eine Art mathematische Erfolgsformel steckt. In seinem „love lab“ (deutsch: „Liebeslabor“) an der Universität von Washington beobachtete der Psychologe unzählige Paare und erkannte dabei ein Muster, das auch „Gottmann-Konstante“ genannt wird. Demnach ist guten, sehr langen Partnerschaften gemein, dass das Verhältnis von positivem zu negativem Verhalten mindestens 5:1 beträgt. Das heißt beispielsweise: Auch in glücklichen Beziehungen gibt der Mann seiner Frau mal eine patzige Antwort. Durch fünf nette Gesten gleicht er diese jedoch instinktiv wieder aus. Sei es, indem er ihr im Winter unaufgefordert die Autoscheibe freikratzt oder von seinen Dienstreisen eine Kleinigkeit mitbringt. Letzteres hat Ludwig Piller stets getan.
Beziehungen begünstigen ein langes Leben
Was er beim Kauf seiner „Liebesbeweise“ wohl nicht geahnt hat: Nicht nur die Ehe, sondern auch die Lebenserwartung des Paars profitierte davon. Charlotte wurde 100, er sogar 106 Jahre alt. „Gute“ Gene haben daran sicher einen Anteil, aber eben auch ihre innige Bindung. So zeigen Studien, dass das Sterberisiko von Verheirateten rund 24 Prozent niedriger ist als das von Singles. Und dass Frauen und Männer mit Ehering am Finger im Vergleich zu dauerhaft Alleinstehenden 7,7 beziehungsweise 9,6 Jahre länger leben.
Die Gründe, natürlich gelten diese auch für „wilde“ Ehen, sind vielfältig. Wer liebt, achtet auf den anderen, animiert sein Gegenüber im Idealfall zu einem gesunden Lebensstil, erinnert an Arzttermine und schützt durch seelische und finanzielle Unterstützung vor lebensverkürzenden Faktoren wie Einsamkeit und Stress. Über die Autobahn rasen oder Klettern ohne Sicherung? Wer wie die Pillers mit jemanden alt werden will, wird sich das zweimal überlegen.
Ihr 80. Ehejubiläum feierten die beiden übrigens nur zu zweit. In einem Wirtshaus, wie beim ersten Date. Gern hätten sie auch getanzt. Aber das machten Knochen und Gelenke nicht mehr mit. Egal, dann ließ man eben im Gespräch die Erinnerungen „tanzen“. Von Station zu Station ihrer lebenslangen Liebe.