Resilienz – Stress und Krisen besser überstehen
Der Chef mosert, der Partner auch. Der Alltag zehrt an den Nerven, Burnout-Fälle nehmen zu. Resilienz-Training soll uns widerstandsfähiger machen.
Mit Resilienz lässt sich gerade gutes Geld verdienen. Könnte jedenfalls meinen, wer sich die Fülle von Ratgebern und Seminaren zu diesem Thema anschaut. Insbesondere wünschen sich Arbeitgeber, dass ihre Mitarbeiter lernen, besser mit dem alltäglichen Bürostress umzugeben. Geistig elastischer zu werden, denn nichts anderes bedeutet der Begriff.
Warum das Interesse daran so groß ist, lässt sich leicht mit Zahlen belegen: Psychische Erkrankungen sind heute der häufigste Grund für Berufsunfähigkeit. Insbesondere bei Frauen sorgen Depression und Burnout für Arbeitsausfall – mit einem Anteil von 35 Prozent weit vor allen anderen Erkrankungen. Aber auch jeder vierte Mann ist davon betroffen. Es scheint, wir müssten heute im Berufsleben deutlich mehr psychische Herausforderungen überstehen als früher. Ist Resilienz-Training die Lösung? Was bedeutet es überhaupt, geistig „elastisch“ zu sein?
Realistischen Optimismus lernen
Im 2014 gegründeten Deutschen Resilienz Zentrum (DRZ) in Mainz versammeln sich Forscher aus unterschiedlichen Fachbereichen, die sich allein mit dem Thema Resilienz beschäftigen. Eine von ihnen ist Donya Gilan, wissenschaftliche Leiterin am DRZ. Eine allgemeine Faustregel, um resilienter zu werden, hat sie nicht parat. Jeder habe individuell verschiedene Stärken und Schwächen, an denen er oder sie arbeiten könne. Zentral gehe es oft darum, einen „realistischen Optimismus“ zu entwickeln. Sich selbst als handlungsfähig zu erleben und zu erkennen, was sich ändern lässt. Manchmal müsse man „akzeptieren, etwas nicht ändern zu können“, rät die Forscherin.
Die richtige Erkenntnis: Sich nicht verkämpfen und gehen, wenn der Leidensdruck zu groß ist. Wohl dem, der sich dann als realistischer Optimist erfährt und in einer solchen Situation vor allem eine Chance auf etwas Neues und Besseres sieht. Der Pessimist hingegen wird eher dazu neigen, in alten Strukturen zu verharren. Resilienz beinhaltet auch soziale Kompetenzen. Dazu gehört zwar eigene Interessen ausdrücken und durchsetzen zu können. Aber eben auch in sozialen Netzwerken integriert zu sein und sich im Notfall Hilfe zu suchen.
Wann es darauf ankommt
Wie resilient wir sind, zeigt sich nach Ansicht von Gilan in zwei Lebensphasen ganz besonders. Wenn wir in den Beruf einsteigen und dann erneut, wenn wir in Rente gehen. Schaffen wir es, als Erwachsene für uns selbst Sorge zu tragen und Verantwortung im Job zu übernehmen? Und können wir nach dem Ende des Berufslebens ohne die täglichen Aufgaben ein selbstbestimmtes Leben führen? Aus Sicht der Forscher sind diese Ereignisse einschneidender als etwa die Hochzeit oder die Geburt der eigenen Kinder. Bei Kindern ist die Aufgabe klar: Wir müssen uns um sie kümmern. Doch immer, wenn es um uns selbst geht, stehen wir unter dem Zwang zur Selbstreflexion. Hier müssen wir ehrlich auch mit unseren Schwächen und Niederlagen umgehen können.
Lebenslanges Lernen
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ – wer Resilienz-Trainings ernst nimmt, muss sich von dieser Weisheit schnell verabschieden. Ursprünglich ging es bei der Resilienz-Forschung aber tatsächlich um die Frage, wie Kinder- und Jugendliche auf das Erwachsenenleben vorbereitet werden können. Ist also bereits das Kind in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen? Keineswegs, sagt Donya Gilan. Resilienz ist für sie keine Frage des Alters, weil jeder sein ganzes Leben lang an sich arbeiten könne. „Die Verhaltenstherapie und andere Therapieformen haben gezeigt, dass es möglich ist, Bewertungsmechanismen zu ändern und eine positive Sichtweise zu entwickeln.“ Das seien schon sehr alte und bewährte Methoden, Menschen resilienter zu machen.
Männer sind widerstandsfähiger als Frauen
Männer zeigen sich über ihre gesamte Lebensspanne hinweg resilienter als Frauen, erklärt Donya Gilan. Dies habe aber nur wenig mit genetischen Unterschieden zu tun. Frauen seien in ihrem Leben einfach häufiger Stress ausgesetzt, allein durch die Doppelbelastung von Beruf und Familie. Eine im Dezember 2018 veröffentlichte Studie im European Journal of Health Psychology stützt diese These teilweise. Männer können demnach schneller stressige Phasen überwinden. Dies bestätigte sich auch im Vergleich zwischen Spanien, Großbritannien und Deutschland. Allerdings sind die Forscher etwas vorsichtiger in der Interpretation der Ergebnisse: Die männlichen Studienteilnehmer haben möglicherweise einfach „sozial erwünscht“ geantwortet. Sich also stärker dargestellt, als sie in Wirklichkeit sind. Nicht ausschließen wollen die Forscher zudem, dass Frauen tatsächlich eine höhere „angeborene Verletzbarkeit“ aufweisen.
Kritik an der Superhelden-Gesellschaft
Taugt Resilienz-Training also als Allheilmittel? Das sehen nicht alle so. Inzwischen erheben sich mehr und mehr warnende Stimmen: So nennt der Theologe und Soziologe Thomas von Freyberg die resiliente Gesellschaft eine „schwarze Utopie“. So genannte „Stehaufmännchen“, die sich bereits im Kindesalter gegen Krisen und Trauer immun zeigen, seien in Wahrheit „schwer gestörte“ Persönlichkeiten. Donya Gilan widerspricht: Es gehe nicht darum Einzelkämpfer zu erschaffen, die gegen jede Form von Stress immun seien. Resilienz bedeute, zu wissen, wann man „Nein“ sagen muss. Zu lernen „über die gesamte Lebensspanne hinweg mit Stress umzugehen.“
An der Kritik sei aber auch etwas dran, muss sie zugeben. „Arbeitgeber können das für sich ausnutzen.“ Nach dem Motto: „Hier bekommt ihr ein Resilienz-Training und dann müsst ihr einfach lernen, leidensfähiger zu werden!“ Für Gilan ein Missbrauch des Konzepts. „Wir möchten Arbeitsbedingungen insgesamt verändern. Es geht ja gerade nicht darum, sich selbst aufzugeben, sondern aktiv zu bleiben.“