Musikgeschmack

01.06.2018

Lan­den wir im Alter alle bei der Volks­mu­sik?

Der Musikgeschmack verändert sich im Verlauf des Lebens. Das Bedürfnis nach harmonischen Klängen steigt. Aber kann aus einem Rocker noch ein Schlagerfan werden?

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Manche mögen es laut: Nicht ausgeschlossen, dass man im Alter gern deftigen Tönen lauscht, solange sie harmonisch klingen.

„Nie im Leben werde ich solche Musik hören!“ Das schwören sich viele junge Menschen, wenn sie beim Zappen plötzlich bei Schlagershows wie „Willkommen bei Carmen Nebel“ oder dem „Musikantenstadl“ landen. Regelrechte Abscheu empfinden manche bei dem Genre „Schlager“, für das sich vorwiegend ältere Generationen massenhaft begeistern.

Musik gibt es für jede Lebensphase

Dass die Musik im Alter softer wird, scheint aber  gesetzt. Denn glaubt man einer Studie der University of Cambridge, passt sich unser Musikgeschmack den verschiedenen Lebensphasen und Bedürfnissen an. Demnach sind Punk und Metal, aber auch Elektro und R&B Musikstile, über die sich die eigene Persönlichkeit insbesondere in jüngeren Jahren definiert. Mit gediegeneren Genres wie Jazz, Klassik, Schlager und Volksmusik sympathisieren viele hingegen erst in späteren Lebensphasen.

Musikwissenschaftler Dr. Timo Fischinger vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt bestätigt, dass sich die Vorlieben wandeln: „Tatsächlich ist unser persönlicher Musikgeschmack gewissen Schwankungen ausgesetzt. Das hängt zum einen von Faktoren wie der Offenheit und Einstellung einer Person gegenüber neuen musikalischen Erfahrungen ab, zum anderen aber auch vom Kulturkreis, der sie umgibt.“

In der Jugend ist das Ohr besonders offen

Der Grundstein für die musikalische Prägung wird demnach bereits im Kindes- und Jugendalter gelegt. Fischinger verweist auf Studien, die sich mit der sogenannten Offenohrigkeit beschäftigen. „Den Studienergebnissen nach weisen Kinder noch zu Beginn der Schulzeit eine hohe musikalische Offenheit gegenüber verschiedensten Genres und Musikstilen auf“, weiß Fischinger.

Durch die Sozialisation und den jeweiligen Kulturkreis sowie durch Abgrenzungsprozesse zum Ende der Jugend nehme sie dann aber kontinuierlich ab. Insbesondere während der Pubertät definiert sich die Einstellung der Heranwachsenden stark über die gängige Musik in der Peergroup. Ein ausdifferenzierter Geschmack könne in dieser Zeit dazu dienen, sich von anderen abzugrenzen. Musik erscheint zudem identitätsstiftend und ist nicht selten mit intensiven Erfahrungen und Emotionen wie der ersten Liebe oder Liebeskummer verbunden.

Frühe Musik begleitet durch das ganze Leben

„Den Musikgeschmack, den man dann bis Mitte 20 entwickelt hat, bleibt meist für die folgenden Jahrzehnte erhalten“, erläutert der Musikwissenschaftler. Das Empfinden für Melodien und Rhythmus gehöre dann zur kulturellen Identität eines Menschen und bleibe relativ stabil. „Das bedeutet aber nicht, dass der Musikgeschmack unveränderbar ist und sich nicht erweitern kann“, erklärt Fischinger weiter und ergänzt: „Daher kann es auch sehr gut sein, dass Menschen gerade durch verschiedene Lebenslagen oder berufliche Entwicklungen ihren Musikgeschmack erweitern oder sich die Vorlieben wandeln.“

Landet also letztlich doch jeder bei ruhigen Klängen, wie es die britische Studie prophezeit? Viele würden denken, dass alte Menschen nur Schlager hören. Das sei so aber nicht richtig, sagt Carola Oldenkott vom Radiosender SWR4 Baden-Württemberg. Die Programmchefin kennt sich mit dem Musikgeschmack der älteren Generation gut aus: Mehr als 84 Prozent der SWR4-Hörer sind 50 Jahre und älter. „Ich stelle jedoch einen Wandel des Melodieverständnisses mit dem Alter fest. Je älter wir werden, desto mehr steigt das Bedürfnis nach Harmonie und damit auch nach melodischeren Stücken.“ Ältere Menschen präferieren dann seltener hektische und schrille Musik, berichtet die Radioexpertin und bestätigt damit die Ergebnisse der britischen Wissenschaftler.

Aus den Rolling Stones wird niemals ein Roland Kaiser

Carola Oldenkotts Erfahrung zeigt aber auch: Ältere Menschen hören am liebsten die Musik, mit der sie groß geworden sind. „Jemand, der in seiner Jugend die Rolling Stones gehört und geliebt hat, wird als Rentner nicht plötzlich Roland Kaiser hören“, so Oldenkott. Man könne daher nicht sagen, dass die Rentner von heute ausschließlich Schunkelmusik oder Klassik hören. Das zeigt sich auch an der Veränderung des Programms. Denn neben deutschsprachigen Liedern spielt der Sender auch zunehmend englischsprachige Hits. Kaum gefragt seien hingegen Volksmusik- und Schlagerhits der 1950er und 1960er-Jahre, wie sie noch vor einigen Jahren im Radio zu hören waren.

Was die Rentner von morgen letztlich hören werden, lässt sich nur spekulieren. Sollte es tatsächlich die Musik sein, die schon in jungen Jahren angesagt war, grooven die heute 20-Jährigen vielleicht auch in 50 Jahren zu den Songs von Beyoncé, Cro, Sido und Rihanna, den einstigen Helden ihrer Jugend.