Regeneration

14.06.2019

Län­ger leben durch guten Schlaf

Schlaf ist die beste Medizin. Permanenter Schlafmangel schadet der Gesundheit – und verkürzt das Leben. So wichtig wie die Dauer ist aber auch die Qualität der Nachtruhe.

© Gettyimages

Nicht nur die Länge ist entscheidend, sondern auch wie gut wir schlafen.

Es wirkt wie Zeitverschwendung: Der Durchschnittsdeutsche verbringt gut 26 Jahre seines Lebens im Schlaf. Ein Drittel unserer Lebenszeit, in dem wir aktiv nichts leisten und, bis auf ein paar Träume, auch nichts erleben. Und trotzdem: Dieses Drittel verlängert unser Leben.

„Schlaf ist das wichtigste Regenerations- und Reparaturprogramm des Menschen“, sagt Hans-Günter Weeß, Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums am Pfalzklinikum Klingenmünster. Denn gehen bei uns abends die Lichter aus, beginnt der Körper, die „Schäden“ des Wachseins zu beseitigen. Wachstumshormone werden ausgeschüttet und helfen dabei, Wunden zu heilen und vor allem Zellen zu erneuern. Sogar bis zu acht Mal schneller als im Wachzustand. Dass Schlafen tatsächlich die beste Medizin ist, zeigt sich am Immunsystem: Schlummern wir friedlich, steigt die Zahl der Abwehrkörper, die in den Kampf gegen Bakterien und Viren ziehen. Und auch das Gehirn läuft auf Hochtouren, vernetzt Nervenzellen neu, speichert wichtige Informationen, löscht Überflüssiges.

Schlechter Schlaf macht krank

Wie genau der Schlaf Einfluss auf die Lebenserwartung nimmt, damit beschäftigen sich zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen. Darunter die JACC-Studie aus Japan, in der mehr als 100.000 Teilnehmer zwischen 40 und 79 Jahren zu ihren Schlafgewohnheiten befragt wurden. Anschließend beobachtete man zehn Jahre lang ihren Gesundheitszustand und stellte fest: Probanden, die 6,5 bis 7,5 Stunden pro Nacht an der Matratze horchten, lebten am längsten. Wer hingegen regelmäßig weniger als 4,5 oder mehr als acht Stunden schlief, hatte ein zum Teil deutlich höheres Sterberisiko. Im Extremfall von 30 Prozent.

 „Schlafstörungen und -mangel steigern die Wahrscheinlichkeit für Depressionen und Angststörungen, für Parkinson oder Demenz“, warnt Schlafmediziner Weeß. „Zudem wächst das Risiko für Stoffwechselerkrankungen um 35 Prozent, jenes für einen Herzinfarkt um 50 Prozent und das für einen Schlaganfall sogar um 100 Prozent.“ Nicht zu unterschätzen: Ist man übermüdet, leiden auch Gedächtnis und Reaktionsschnelle. Einer neuen kanadischen Studie zufolge sind Menschen, die nachts auf weniger als vier Stunden Schlaf kommen, kognitiv acht Jahre älter als sie tatsächlich sind. Bei der Frage, warum auch zu viel Schlaf lebensverkürzend wirken kann, tappt die Forschung hingegen noch im Dunkeln. Die Vermutung: Dauert die Nachtruhe zu lange, wird das Immunsystem überstimuliert und läuft Gefahr, ausgeschaltet zu werden.

Gene bestimmen, wie viel Schlaf wir brauchen

Die Sorge einer Schlummer-Überdosis haben jedoch sicher die wenigsten. Weit mehr Menschen bekommen schlichtweg zu wenig davon. So hat ein Drittel der Deutschen hin und wieder Probleme mit dem Ein- und Durchschlafen, sechs Prozent leiden unter Schlafstörungen, ein bis zwei Millionen finden nur mit Schlafmitteln den Weg in die Traumwelt. „Wer vier Wochen lang mindestens dreimal pro Woche so schlecht schläft, dass er sich am Tag beeinträchtigt fühlt, sollte sich ärztliche Hilfe holen“, rät Weeß. Alles darunter sei kein Grund zur Panik.

Auch die oft pauschal empfohlene Schlafdauer von sieben Stunden bräuchte man nicht allzu eng sehen. „Das ist lediglich das durchschnittliche genetische Schlafbedürfnis.“ Tatsächlich gebe es aber von Natur aus auch Kurzschläfer wie Angela Merkel, die nach eigenen Angaben mit fünf Stunden gut zurechtkommt. Und andererseits „Murmeltiere“ wie Albert Einstein, der sich am liebsten erst nach zehn Stunden aus der Waagerechten erhob. Wichtiger als die Dauer ist die Qualität des Schlafes. Zwei, drei der besonders erholsamen Tiefschlafphasen sollten dabei sein, dazu ein paar REM-Phasen, in denen wir Informationen verarbeiten und Stress abbauen. Diese Schlafarchitektur ist bei allen Menschen relativ konstant. Egal, ob nun etwas mehr oder weniger als sieben Stunden.

Von „Eulen“ und „Lerchen“

Viel problematischer findet Schlafmediziner Weeß den Takt, den uns der Alltag vorgibt. „80 Prozent der Deutschen beenden ihren Schlaf künstlich mit dem Wecker. Das tut sonst keine Spezies auf diesem Planeten. Wir würden ja auch niemals auf die Idee kommen, das Programm des Backofens zu stoppen, noch ehe der Braten gar ist.“

 Vor allem die „Eulen“ – so nennt die Wissenschaft Menschen, die erst abends so richtig in Fahrt, früh aber schlecht aus den Federn kommen – hätten zu leiden. Melatonin, der Schlafbotenstoff, der sich mit Einbruch der Dämmerung bildet, wird bei ihnen genetisch bedingt langsamer ausgeschüttet. Im Gegensatz zu den „Lerchen“, die schon beim 20.15 Uhr-Film einnicken, aber zeitig putzmunter sind. „Allgemein gilt ‚Der frühe Vogel fängt den Wurm‘ als Tugend. Die innere Uhr der meisten Menschen tickt aber ganz anders“, so Weeß. Schichtarbeit und die Pflicht, früh Punkt 8 Uhr im Büro auf der Matte stehen zu müssen, sei demnach oft Gift für Lebenserwartung und Leistungsfähigkeit.

Frauen leben länger – auch weil sie besser schlafen

Der Schlafexperte plädiert daher für flexible Arbeitszeiten, für Powernaps im Job und dafür, sich öfter mal ein erwiesenermaßen lebensverlängerndes Mittagsschläfchen zu gönnen. Eine Studie des Karolinska Institut in Stockholm legt zu dem nahe, dass sich verpasster Schlaf zum Beispiel am Wochenende nachholen und das erhöhte Sterberisiko in gewissem Maße wieder ausgleichen lässt.

Übrigens: Warum Frauen im Schnitt vier Jahre länger leben als Männer, hat auch etwas mit der Bettruhe zu tun. Denn sie sind die besseren Schläfer. Bis ins hohe Alter können Frauen tief und fest schlummern; bei Männern hingegen geht ab dem 50. Lebensjahr der für Regeneration und Reparatur so wichtige Tiefschlafanteil immer mehr zurück.


In seinem Buch Schlaf wirkt Wunder lüftet Schlafexperte Dr. Hans-Günter Weeß allerlei Geheimnisse rund um den Schlaf und verrät Tipps und Tricks, wie wir tiefenentspannt ins Reich der Träume abtauchen können.