Strukturwandel

04.04.2023

Geld gegen Arbeits­kraft

Strukturschwache Regionen verlieren junge Fachkräfte an florierende Metropolen – ohne Kompensation. Die könnte ein Instrument aus dem Fußball bringen.

© Unsplash / Stanislav Korol

Strukturschwache Regionen leiden am stärksten unter dem Fachkräftemangel, weil junge Menschen in die Metropolen abwandern.

Talente ausbilden, die dann von großen Klubs abgeworben werden: Kleinere Fußballvereine kennen das frustrierende Gefühl, junge Spieler an finanzstärkere Konkurrenten zu verlieren und so immer wieder sportlich geschwächt zu werden. Immerhin: Für ihre Spielerverluste erhalten die Vereine eine Entschädigung und sie werden auch an künftigen Transfereinnahmen beteiligt.  

In einer ähnlichen Situation wie kleinere Fußballklubs befinden sich viele Kommunen in Deutschland. Sie finanzieren die Ausbildung junger Menschen, die nach der Schule oder dem Studium fortziehen und anderswo arbeiten sowie ihre Steuern zahlen. Für diesen Verlust sollten die Städte nach den Vorstellungen der Demografin Fanny Kluge in gleicher Weise entschädigt werden wie Fußballklubs: „Ausbildende Kommunen könnten eine Kompensation bekommen, sollten gut ausgebildete Menschen ihre Heimatregion verlassen und die Zielregion Arbeitnehmer gewinnen, ohne deren Ausbildung finanzieren zu müssen“, so ihr Vorschlag, der sich im Grünbuch Alternde Gesellschaft wiederfindet.

Abwärtsspirale aus fehlenden Einnahmen und mangelnden Investitionen

Damit greift sie ein Problem auf, das sich seit Jahrzehnten verschärft. Das Altersgefälle innerhalb Deutschlands wächst. Großstädte wie Hamburg, Berlin oder Leipzig profitieren vom Zuzug gut ausgebildeter junger Fachkräfte, während in ländlichen Regionen und kleineren Städten viele ältere Menschen übrigbleiben. Der Exodus der Jugend lähmt die wirtschaftliche Entwicklung in den betroffenen Regionen und hat Folgen für deren Finanzkraft: Geringeren Steuereinnahmen stehen hohe Kosten für die Daseinsvorsorge gegenüber. Eine Abwärtsspirale aus fehlenden Einnahmen und mangelnden Investitionen kommt in Gang.  

„Die demografische und wirtschaftliche Entwicklung bedingen sich teilweise“, sagt Andreas Edel, Leiter des Demografie-Netzwerks Population Europe. Strukturschwache Gegenden werden durch Abwanderung noch mehr geschwächt und verlieren an Attraktivität. „Wir müssen uns deshalb mit der Frage auseinandersetzen, wie wir den Teufelskreis aus alternder Bevölkerung und schrumpfenden finanziellen Ressourcen durchbrechen können.“

Und dies ist längst kein Problem nur der ostdeutschen Bundesländer. Die Alterung ist dort aufgrund der Abwanderung nach der Wiedervereinigung zwar besonders fortgeschritten. In den kommenden Jahrzehnten werden aber auch die wirtschaftsstarken Flächenländer Bayern und Baden-Württemberg von der demografischen Entwicklung eingeholt: „Die Ausgaben für Ältere steigen besonders in Süddeutschland gravierend. In den nächsten Jahrzehnten vollzieht sich dort die gesellschaftliche Alterung, die anderswo bereits weiter vorangeschritten ist“, betont Studienautorin Kluge.

Auch die westdeutschen Länder können die Lücke, die mit dem Ausscheiden der Baby-Boomer aus dem Erwerbsleben entsteht, nicht mehr allein durch Zuwanderung füllen: Das Statistischen Bundesamt prognostiziert für Deutschland einen Anstieg der Rentner bis Mitte der 2030er-Jahre um 4 Millionen auf 20 Millionen. Parallel könnte die Zahl der erwerbsfähigen Menschen von aktuell 51,4 Millionen selbst bei hoher Nettozuwanderung um 1,6 Millionen abnehmen, bei niedriger Nettozuwanderung sogar um 4,8 Millionen.

Umverteilung für gleichwertige Lebensverhältnisse

Das passende Instrument, um eine Art von Ablösesumme einzuführen, ist aus Kluges Sicht der Länderfinanzausgleich. Er verteilt die Steuereinnahmen aller Bundesländer um und soll für gleichwertige Lebensverhältnisse sorgen – und könnte um einen demografischen Faktor ergänzt werden. Zudem schlägt Kluge vor, stark altersabhängige Kosten – beispielsweise für Bildungs- und Sozialeinrichtungen – von den Ländern auf den Bund zu verlagern. Das Bundesfinanzministerium wollte sich auf Anfrage zu diesen Vorschlägen nicht äußern. 

Daneben gibt es staatlich geförderte Projekte, die jungen Menschen Anreize geben sollen, in ihrer Region zu bleiben. Dann wären Ausgleichszahlungen für weggezogene Fachkräfte weniger relevant. Ein Modellprojekt ist die ‚Zukunftswerkstatt Kommunen‘, im Zuge dessen strukturschwache Regionen bei der Gestaltung des demografischen Wandels vor Ort durch externe Beratung und Bürgerbeteiligung unterstützt werden. Und einige Bundesländer – besonders im Osten – haben seit längerem schon Anwerbekampagnen laufen, um ehemalige Landeskinder zur Rückkehr zu bewegen. 

Denn das gibt es ja auch im Fußball. So mancher Profi kehrt nach Jahren in der Fremde zu seinem Ausbildungsverein zurück. Aus Dankbarkeit. Oder aus Verbundenheit zur Heimat.