Geh zum Arzt, Mann !
Männer sind Vorsorgemuffel und meiden Arztbesuche. Das liegt auch an einem veralteten Männerbild, das Krankheit mit Schwäche assoziiert. Die Folgen sind fatal.
Dass irgendetwas nicht stimmt, hatte Michael Wagner* schon eine ganze Weile gemerkt. Oft war der Urin bräunlich rot verfärbt; später tat’s beim Wasserlassen auch ab und zu weh. Ach, wird schon nichts weiter sein, einfach ignorieren, dachte sich der 47-Jährige. Erst als er mit Krämpfen auf der Couch lag, platzte seiner Frau der Kragen. Sofort zum Arzt, keine Widerrede! Dort offenbarte sich dann die Ursache des Problems: Blasenkrebs.
Prof. Dr. Kurt Miller, Leiter der Kliniken für Urologie an der Charité Berlin, kennt dieses Szenario nur zu gut. „Männer, die Symptome verdrängen, das ist der absolute Klassiker.“ Auf die Frage, warum sie nicht früher gekommen seien, höre er dann immer die gleichen Ausreden: keine Lust, keine Zeit, es hat ja nicht geschmerzt, Wehwehchen könne man doch eine Weile tapfer ertragen. „Ausnahmslos alle bereuen diese Einstellung bitter und wünschen sich, sie hätten Präventionsangebote genutzt.“
Nur ein Viertel aller Männer geht zur Krebsvorsorge
Dabei sind Männer laut Umfragen eigentlich gut informiert und wissen genauso wie Frauen, wie wichtig Vorsorge ist. Und trotzdem: Hingegangen wird zu selten. So ergab eine Auswertung der Techniker Krankenkasse, dass nur jeder vierte Mann über 45 die jährliche Krebsfrüherkennung – hier werden die äußeren Genitalien und die Prostata untersucht – in Anspruch nimmt. Bei Frauen ab 20 ist es dagegen mehr als jede zweite, die mindestens einmal pro Jahr eine gynäkologische Praxis von innen sieht. Auch bei anderen Check-ups hinken Männer hinterher. Sie suchen seltener einen niedergelassenen Arzt auf, lassen seltener abklären, wie es um ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Typ 2-Diabetes steht.
Zwei Krankheiten übrigens, von denen Männer häufiger betroffen sind als Frauen. Ebenso wie von Bluthochdruck oder starkem Übergewicht. Denn im Durchschnitt ernähren sich Männer ungesünder, rauchen mehr und trinken mehr Alkohol. Alles Gründe, warum ihre Lebenserwartung vier Jahre niedriger ist als die der Frauen – und warum es für sie umso wichtiger wäre, sich regelmäßig durchchecken zu lassen.
Prävention passt nicht zum „starken“ Geschlecht
Doch was hält so viele davon ab? Für Miller ist es vor allem das veraltete Männerbild. „Oft betrachten Männer Kranksein noch immer als ein indirektes Zeichen von Schwäche“, sagt der Urologe. „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“: Wer als Kind so etwas hört, wird auch später eher danach handeln. Bei Frauen sei die Einstellung hingegen eine ganz andere. Seit Teenagertagen gehen diese zum Frauenarzt und entwickeln so früh eine medizinische Routine. „Für Jungs hat sich nach den U-Untersuchungen im Kindesalter das Thema Arztbesuch im Prinzip erledigt. Einen Termin machen dann viele erst wieder Mitte 40 – oder gar erst im Rentenalter.“ In der Zwischenzeit baue sich ordentlich Angst auf. „Es könnte ja eine schlimme Diagnose herauskommen. Also schiebt man es lieber weg“, erklärt Miller.
Dass diese Angst im Ernstfall Leben kostet, zeigt die Statistik. 54 Prozent aller Krebstoten in Deutschland sind Männer. Bei den 25- bis 45-Jährigen ist Hodenkrebs der häufigste bösartige Tumor. Die meisten Krebstodesfälle gehen auf das Konto von Karzinomen in der Lunge – gleich dahinter folgt Prostatakrebs. Ein Großteil davon ließe sich vermeiden, sagt Miller. Wenn da nur nicht die Furcht vor der „großen Hafenrundfahrt“, der rektalen Untersuchung wäre. „Vollkommen unbegründet. Es gibt heute so viel bessere Mittel der Früherkennung: Ultraschall, Blut- und Urintest. Mit dem Finger untersucht, wird eher selten. Und wenn doch: Das geht ganz schnell, rund 20 Sekunden höchstens. Schämen muss sich da wirklich niemand.“
Männer leiden genauso häufig an psychischen Problemen wie Frauen
Auch Johannes Vennen gehört als Psychologe zu einer Gruppe von Medizinern, die Männer eher meiden. Schätzungen zufolge ist nur jeder dritte Teilnehmer einer Psychotherapie männlich. „Sich als ‚starker‘ Mann seelische Probleme einzugestehen, wird vielfach noch immer als Widerspruch betrachtet“, sagt Vennen, der in Schleswig-Holstein zwei männerspezifische Praxen betreibt. Obwohl Frauen etwa doppelt so häufig die Diagnose „Depressionen“ bekommen, glaubt er nicht, dass Männer ein „dickeres Fell“ haben.
„Bei ihnen werden Depressionen oft schlichtweg übersehen, weil die Symptome ganz anders sind.“ Während Frauen mit Niedergeschlagenheit und Rückzug reagieren, zeigen sich Männer gereizt, feindselig und in ihrem Verhalten lebensverkürzend exzessiv. Da wird mehr Alkohol getrunken, übermäßig Sport getrieben, gearbeitet bis zum Umfallen. Oder es entwickelt sich im Verborgenen noch Dunkleres: 76 Prozent der Deutschen, die jährlich Selbstmord begehen, sind Männer. Sich professionelle Hilfe zu holen, sei keine Schande, sagt Vennen. Seine Klienten kommen, um Trennungen zu verarbeiten, über mangelnde Anerkennung im Job zu sprechen oder die Angst vor dem Ruhestand zu überwinden. Der jüngste ist 18, der älteste war 92 Jahre alt.
Mehr Offenheit, mehr Vorbilder, mehr digitale Anreize
„Um Männer stärker für ihre Gesundheit zu sensibilisieren, braucht es auf jeden Fall mehr als Plakatkampagnen in Baumärkten“, findet Urologe Miller. Ganz wichtig: ein offener Austausch. Unter Freunden, mit der Partnerin, zwischen Vätern und Söhnen. Auch in Schulen und Betrieben sollte Vorsorge mehr thematisiert werden. Für Psychologe Vennen geht es vor allem auch um Vorbilder. Wunderbar fand er es, als sich Comedian Kurt Krömer öffentlich zu seiner Depression bekannte. Zudem setzen beide Mediziner auf digitale Angebote wie Online-Diagnostik und Online-Training. Hier lernen Männer, was Erektionsstörungen lindert oder welche Mechanismen hinter depressiven Gedanken stecken. „Viele Männer interessieren sich sehr für Zahlen, Daten und Fakten. Technik kann helfen, sich mehr mit Körper und Seele zu beschäftigen“, ist Vennen überzeugt.
Michael Wagner geht es mittlerweile wieder gut. Der Krebs ist weg. Mit einem künstlichen Blasenausgang wird er allerdings leben müssen. Das einzig Positive an dieser Erfahrung: Sein Gesundheitsbewusstsein hat sich grundlegend verändert. Zum Urologen geht’s jetzt regelmäßig. Ebenso zur Darmspiegelung, zum Hautkrebs-Screening und Check-up der Herzfunktion. Bis etwas schmerzt – darauf will er nicht mehr warten.