Frauen und Männer kommen sich bei der Lebenserwartung näher
Frauen leben länger als Männer. Seit geraumer Zeit wird die Lücke jedoch kleiner. Weil Männer bei der Gesundheit aufholen, während Frauen ihren Vorsprung ein wenig verspielen.
Die Lebenserwartung in Deutschland ist über die vergangenen 150 Jahre deutlich gestiegen. Lag sie Ende des 19. Jahrhunderts für Neugeborene noch bei rund 40 Jahren, so können Mädchen und Jungen inzwischen mit durchschnittlich gut 90 Jahren rechnen. Was über die Jahrzehnte hinweg jedoch unverändert blieb, ist der Vorsprung der Frauen. Sie lebten schon zu Kaisers Zeiten länger als das vermeintlich stärkere Geschlecht – und so ist es noch heute.
Seit einigen Jahrzehnten holen die Männer jedoch auf – und das nicht nur in Deutschland. Wie Wissenschaftler vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) für 228 Regionen in sieben europäischen Ländern unlängst ermittelt haben, lag die Lebenserwartung der Männer Mitte der 1990er-Jahre noch um mehr als sieben Jahre hinter der der Frauen zurück. Mittlerweile hat sich diese Lücke auf 5,5 Jahre reduziert. In Deutschland beträgt die Lücke im Bundesdurchschnitt sogar nur noch ungefähr drei Jahre.
Der Herzschrittmacher: Gamechanger für die männliche Lebenserwartung
Die Entwicklung zeigt, dass die Geschlechterunterschiede in der Lebenserwartung keineswegs nur biologischer Natur sind. Zwar haben Frauen aufgrund ihrer zwei X-Chromosomen einen genetischen Vorteil, da sie Defekte an dem einen durch das andere X-Chromosom ausgleichen können und somit besser vor Krankheiten geschützt sind. Doch dies allein reicht als Erklärung nicht aus: Etwa 75 Prozent der männlichen Übersterblichkeit lässt sich auf vermeidbare Ursachen zurückführen. So sind Männer wesentlich häufiger von Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen: Sie ernähren sich ungesünder, reiben sich im Beruf stärker auf, gehen seltener zum Arzt und greifen häufiger zu Alkohol und Zigaretten als Frauen. Zudem sind sie öfter in tödliche Unfälle verwickelt und begehen öfter Selbstmord.
Diverse Fortschritte haben diese verhaltensbedingten Effekte abgeschwächt. Einen wichtigen Anteil hat beispielsweise die Ende der 1960er-Jahre einsetzende „kardiovaskuläre Revolution“, die durch den zunehmenden Einsatz von Herzschrittmachern, später auch Bypass und Stent, geprägt ist. Davon profitierten insbesondere die Männer – nach 1990 auch im Osten, wo die Herzmedizin bis dato nicht auf dem höchsten Niveau war. Oder der verbesserte Arbeitsschutz – besonders relevant in den noch immer von Männern dominierten handwerklichen Berufen: So ist allein zwischen 1992 und 2022 die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle um 70 Prozent gesunken.
Gleichstellung lässt Männer länger leben
Ein weiterer Booster für die männliche Lebenserwartung: das Aufbrechen alter Rollenbilder. Für das Haushalteinkommen hauptverantwortlich sein, körperliche und seelische Schmerzen standhaft aushalten und nicht zum Arzt gehen, all das verband man früher insbesondere mit Maskulinität. Heute dagegen gilt es weit weniger als „unmännlich“, wenn Mann in Krisen um Hilfe bittet, zur Vorsorge geht oder sich gesund ernährt. Das zeigt Wirkung. Eine Suizidrate, die sich seit 1980 halbiert hat, und 18- bis 25-Jährige, die heute nur noch halb so viel Alkohol trinken wie 1979, sind dafür Indizien.
Einen wissenschaftlichen Beleg liefern indes Forscher der Universität Bielefeld und des Robert Koch-Instituts (RKI). In einer Studie haben sie sich die 16 Bundesländer vorgenommen und den jeweils dort herrschenden Grad der Gleichstellung der Geschlechter mit der Lebenserwartungslücke zwischen Frau und Mann in Beziehung gesetzt. Ihre Erkenntnis: Männer leben dort annähernd so lange wie Frauen, wo sich in der Gesellschaft eine vergleichsweise starke Gleichberechtigung zeigt. Zum Beispiel durch viele Frauen, die erwerbstätig sind, oder einen hohen Frauenanteil in den Landesparlamenten. Spitzenreiter ist dabei laut der Studie Bayern mit 4,5 Jahren; Schlusslicht ist Sachsen-Anhalt mit 6,5 Jahren.
Frauen ziehen bei ungesundem Lebensstil nach
Allerdings hat die Emanzipation in einem Bereich auch eine Kehrseite: Gesundheitsschädliches Verhalten wie Rauchen oder Alkoholkonsum ist längst kein männliches Phänomen mehr. Während Männer seit den 1960er-Jahren immer seltener zur Zigarette greifen, tun dies Frauen immer häufiger. Die Folgen machen sich mittlerweile bemerkbar. So ist Lungen- und Bronchialkrebs bei Männern leicht rückläufig, bei Frauen hingegen sind die Fälle zwischen 2000 und 2022 um 73 Prozent gestiegen. Ein ähnliches Bild beim Alkohol: Frauen haben aufgeholt. Vor allem bei den Jahrgängen ab 1980 neigen sie fast so oft zum Rausch wie Männer. Beim „problematischen“ Trinkverhalten, das Krebs, Herz- und Leberschäden hervorrufen kann, beträgt das Verhältnis Mann zu Frau inzwischen 1,2 zu 1. Die Lebenserwartungslücke zwischen den Geschlechtern wird demnach auch kleiner, weil Frauen Lebenszeit verlieren – und sich so den Männern annähern.
Experten prognostizieren derweil, dass sich der „Gender Age Gap“ in Zukunft weiter verkleinern wird und die Männer Anschluss an die Frauen finden. Einen Hinweis darauf, wie sehr sich die Lücke noch schließen könnte, bietet die sogenannte Klosterstudie des Demografen Marc Luy. Er verglich die Lebensdaten von fast 12.000 bayerischen Nonnen und Mönchen, deren Lebensweise sich stark ähnelt: Tagesablauf, Ernährung, Wohnsituation, Familienstand. Das Ergebnis: Die Lebenserwartung der Mönche reichte fast an die der Nonnen heran. Lediglich ein bis zwei Jahre trennten beide Gruppen.