Ernährung

15.03.2019

Fas­ten für ein lan­ges Leben

Hunger ist ein fieses Gefühl. Dennoch verzichten immer mehr Menschen freiwillig tagelang aufs Essen – der Fitness wegen. Was Heilfasten wirklich bringt.

© Paul Bradbury / OJO Images

Stark bleiben – der Körper dankt es. Sagen Wissenschaftler.

Dass die Frauen in seiner Familie so alt werden, hat Slaven Stekovic schon immer fasziniert. Den Rekord hält seine Urgroßmutter. 110 Jahre! Die Männer hingegen starben allesamt Jahrzehnte früher. Wie konnte das sein? Im Verdacht hat Stekovic bis heute das Essen. Beziehungsweise: das Nicht-Essen. Seine Familie stammt aus Kroatien, aus den Bergen im Hinterland von Split. Eine Region geprägt vom Katholizismus, den vor allem die Frauen auch auf dem Teller praktizierten. Um Buße zu tun und Gott näher zu kommen, wurde ein- bis zweimal die Woche gefastet.

„Fasten scheint hier wie eine natürliche Lebensverlängerung gewirkt zu haben“, sagt der Buchautor und studierte Molekularbiologe und Altersforscher an der Universität Graz. Tatsächlich bescheinigen internationale Studien dem Fasten erstaunliche Heileffekte – bis hin zur Fähigkeit, den Körper zu verjüngen.

Was wir hingegen seit Generationen tun: futtern, mindestens dreimal am Tag. „Die landläufige Meinung, dass der Mensch fünf bis sechs Mahlzeiten am Tag braucht, ist allerdings ein Irrglaube“, sagt Stekovic. Evolutionsbiologisch seien wir immer noch wie der Steinzeitmensch. Der hatte viel zu essen, wenn ihm Wild vor den Wurfspeer lief. Und hungerte, wenn die Vorräte im Winter nicht reichten. „Unser Körper ist auf den Wechsel zwischen Überfluss und Mangel programmiert.“ Permanent Nahrung zuzuführen sei schlussendlich ungesund.

Nahrungsentzug setzt Zellreinigung in Gang

Warum Fasten unserem Körper guttut, haben Stekovic und sein Team genau erforscht. Der zentrale Prozess dabei nennt sich Autophagie. Bekommen die Zellen keine Energie durch Nahrung, recyceln sie was sich in ihnen ansammelt: Defekte Moleküle, deformierte Proteine und kaputte Zellteile, die verantwortlich sind für altersbedingte Erkrankungen wie Demenz oder Schlaganfall. Das geniale „Großreinemachen“ startet jedoch nur, wenn kein Insulin im Körper kreist, uns also das Essen verkneifen. Und sei es nur ein Gummibärchen.

Die Wirkung kann gewaltig sein. Forscher am Helmholtz-Institut in München beispielsweise fütterten Mäuse acht Wochen lang nur alle zwei Tage. Im Vergleich zu Artgenossen mit freiem Zugang zu Nahrung erhöhte sich ihre Lebenserwartung um rund 50 Prozent. Auch Valter Longo, Fastenexperte von der University of South California, setzte Nager auf Kalorienentzug. Was ihnen offensichtlich bestens bekam, denn sie lebten länger, ihr Immunsystem verjüngte sich und all jene, die zuvor an Typ-2-Diabetes litten, waren danach nahezu kuriert.

Neue Hoffnung bei Alzheimer und Krebs

Aber ist Mann gleich Maus? „Auch beim Menschen zeigen sich positive Effekte durch das Fasten“, sagt Forscher Stekovic. „Vor allem bei Herzerkrankungen, Diabetes, Rheuma, Arthritis sowie Arteriosklerose.“ Zudem wirkt das „Fasten-High“, das natürlich einsetzende euphorische Gefühl, wenn die Nahrung knapp wird, wie ein Antidepressivum. Und fastende Bluthochdruckpatienten können mitunter getrost auf ACE-Hemmer oder Betablocker verzichten. Nicht selten regelt eine partielle Nulldiät den Verkehr in den Blutbahnen sogar besser als Medikamente.

Ebenfalls interessant: Regelmäßige Nahrungsaskese scheint das Alzheimer-Risiko zu senken beziehungsweise die Gedächtnisleistung zu verbessern. Denn fehlt die Energiezufuhr, werden die Stammzellen gereizt, frischen Nachschub zu bilden – von der neuen Leber- bis zur Gehirnzelle. Keine Fastenfans hingegen sind Krebszellen, vermutet die Wissenschaft. Um sich zu vermehren und nicht zu „verhungern“, brauchen sie kontinuierlich Glukose. Versuche mit Mäusen, die parallel zur Chemotherapie fasteten, liefern hier erste Hoffnungsschimmer: Die Hälfte von ihnen konnte geheilt werden und lebte danach noch ein normal langes Mauseleben.

Ab 16 Stunden Abstinenz zeigt Fasten seine Wirkung

Doch welche Fastenmethode ist nun die wirksamste? Sollte man nach Buchinger Verzicht üben und mehrere Wochen nur Gemüsebrühe, Saft und Tee zu sich nehmen? Oder ist schon Intervallfasten wirksam, bei dem zum Beispiel acht Stunden am Tag normal gegessen werden darf, danach der Kühlschrank aber 16 Stunden lang zubleibt? „Mehr ist nicht immer besser“, sagt Molekularbiologe Stekovic. „Wichtiger ist es, regelmäßig Essenspausen einzulegen.“ Die reinigende Wirkung der Autophagie jedenfalls setze nach rund 16, auf jeden Fall aber nach 24 Stunden ein.

Altersforscher Stekovic hält es wie seine Urgroßmutter und schlürft ein, zwei Tage die Woche nur schwarzen, ungesüßten Kaffee oder Tee.