Waldbaden

21.06.2019

Die Heil­kraft der Bäume

Im Wald gibt es nicht nur viel zu entdecken. Der Aufenthalt im Forst belebt auch Körper und Geist. Nicht umsonst gilt „Waldbaden“ in Japan sogar als Medizin.

© Tero Vesalainen / Getty Images

Bäume bestimmen das Wesen des Waldes und ihre Duftstoffe haben eine heilende Wirkung auf unseren Körper. 

Der Wind rauscht durch die Wipfel der hohen Tannen. In der Luft liegt der Duft von Harz und Holz. Der weiche, von Nadeln übersäte Boden federt jeden Schritt sanft ab. Dazu Ruhe, frische Luft und sattes Grün. Keine Frage: Ein Waldspaziergang ist eine erholsame Auszeit vom stressigen Alltag. Und obendrein gut für Herz, Immunsystem und Psyche.

„Beim Aufenthalt im Wald kommen mehrere Faktoren zusammen“, erklärt Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde des Immanuel Krankenhauses in Berlin. „Da sind die aromatischen Duftstoffe, das schöne Licht, das Grün, das Vogelgezwitscher. Das sind verschiedene Komponenten, die dem Wald gegenüber dem Laufen auf der Straße eine überlegene Wirkung geben.“

Stresspegel und Puls sinken im Wald

In Japan sind Waldspaziergänge schon lange fester Bestandteil der Gesundheitsvorsorge. Dort gibt es sogar einen eigenen Ausdruck dafür: „Shinrin-yoku“ – wörtlich übersetzt: „Baden in der Atmosphäre des Waldes“ – heißt der Trend, der auch in Deutschland immer mehr Anhänger findet.

Ein Vorteil des Waldspaziergangs: Der Köper schüttet wesentlich weniger Adrenalin aus als in der Stadt, dadurch sinkt der Stresspegel. „Der Wald ist für uns etwas Altbekanntes, eine entspannte und vertrauensvolle Umgebung für unser Gehirn. Dementsprechend reagiert das Gehirn mit Entspannung und Ruhe. Das Stresshormon Kortisol fällt, sobald wir ein paar Minuten im Wald sind. Auch der Blutdruck fällt und der Pulsschlag beruhigt sich“, sagt Michalsen.

Aufenthalt im Forst stärkt Abwehrkräfte gegen Krebs

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen die heilende Wirkung des Waldbadens. Bei einer Studie der Nippon Medical School hatten die Probanden nach einem ausgiebigen Aufenthalt im Forst nicht nur einen niedrigeren Blutdruck und eine niedrigere Herzfrequenz. Der Gang durchs Grüne aktivierte bei ihnen auch die Killerzellen, deren Aufgabe es ist, Krebszellen zu vernichten. Noch sieben Tage nach dem Ausflug war der Effekt bei den Probanden messbar.

Einfluss auf das Immunsystem haben vor allem die ätherischen Öle der Bäume, die Duftstoffe – auch Terpene genannt – enthalten. Der japanische Forscher Qing Li und sein Team ließen Probanden in Hotelzimmern übernachten, in die über die Klimaanlage Waldaromen gegeben wurden. Untersuchungen im Anschluss zeigten, dass die eingeatmeten Terpene die Produktion von Botenstoffen anregen, die dafür verantwortlich sind, den Blutdruck, den Blutzucker- und den Stresshormonspiegel zu senken.

Waldbaden bedeutet, sich ganz der Natur hinzugeben

Auch Michalsen ist von der Wirkung aromatischer Öle überzeugt. Es gebe viele Öle, die eine beruhigende Wirkung an sich hätten, und auch teilweise antibiotisch auf das Immunsystem wirkten. „Beim Wald addiert sich das auf ein Orchester von über tausend Stoffen zusammen“, sagt der Chefarzt.

Waldbaden heißt aber auch, völlig in die Natur einzutauchen – achtsam und absichtslos. Nur so kann es zu einem wirklich erholsamen Erlebnis werden. „Wichtig ist, nicht mit einem Leistungsgedanken in den Wald zu gehen. Es ist keine gute Idee, mit dem Mountainbike durch den Wald zu brettern oder mit Brustgurt und Puls auf 130. Das ist kein achtsamer Spaziergang mehr. Dann raubt man sich den eigentlich entspannenden Effekt. Es geht wirklich um das ganz ruhige, genießende Bewegen im Wald“, betont Andreas Michalsen.