Der Tod mag keine Optimisten
Das Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll. Wer so denkt, hat gute Chancen auf ein längeres Leben. Studien zeigen, dass positives Denken die Gesundheit fördert.
Herr Koch sei ein Schelm, sagen die Mitarbeiter des Berliner Seniorenheims Vitanas-Zentrum am Schäfersee. Eigentlich immer gut drauf, fast nie um einen flotten Spruch verlegen. Allein die Gesundheit mache ihm zu schaffen. Die Beine wollen nicht mehr. Die Augen auch nicht. Da kann man zwischendurch schon mal schlechte Laune bekommen. Aber im Großen und Ganzen sei er vor allem für eines bekannt: sein sonniges Gemüt.
Fritz Koch ist fast 110 Jahre alt und damit der älteste Berliner. Wie erreicht man ein so stattliches Alter? Vielleicht mit einer Portion Frohsinn und Optimismus? Mehrere Studien bejahen das und zeigen, dass nicht nur Bewegung oder gesunde Ernährung einen positiven Einfluss auf die Lebensdauer haben, sondern auch Wohlbefinden und eine hohe Zufriedenheit.
Wohlbefinden kann biologische Prozesse auslösen
Eine dieser Studien entstand unter Leitung von Wissenschaftlern des University College London. Sie befragten rund 9000 Briten, die im Durchschnitt 65 Jahre alt waren. Die Forscher wollten wissen, ob die Menschen ihr Leben als sinnvoll betrachten, dem Alter positiv gegenüber stehen und das Gefühl haben, dass ihr Handeln sich lohnt. Aus den Antworten bildeten sie vier Kategorien des Wohlbefindens. Nach gut acht Jahren wiederholten die Forscher die Erhebung. Ergebnis: Die optimistischsten Probanden hatten in der Wartezeit eine um 30 Prozent geringere Sterbewahrscheinlichkeit und lebten im Durchschnitt zwei Jahre länger als die pessimistischsten.
Zufall? Eher nicht. Einflussfaktoren wie Geschlecht, Gesundheit, sozioökonomischer Status oder Alkoholkonsum rechneten die Forscher heraus. Für sie sind die Ergebnisse daher ein starkes Indiz, dass sich eine hohe Lebenszufriedenheit positiv auf die Gesundheit auswirkt. „Es gibt biologische Mechanismen, die Wohlbefinden mit körperlicher Gesundheit in Verbindung bringen“, erklärt Adrew Steptoe, Leiter des Forscherteams, gegenüber dem Mediziner-Portal Medical News Today. So könne Glücklichsein dazu beitragen, den Hormonhaushalt zu verändern oder Bluthochdruck zu verringern. Der kausale Zusammenhang zwischen Wohlbefinden und Lebenserwartung müsse jedoch erst noch erforscht werden, so Steptoe.
Pessimisten leiden unter größerem Stress
Dieser Frage geht auch Hilary Tindle nach. Die Biologin an der University of Pittsburgh und ihr Team ließen 97.253 gesunde Frauen nach der Menopause einen Persönlichkeitstest durchlaufen. Anschließend teilten sie die Probanden in eine „optimistische“ und eine „pessimistische“ Gruppe ein und beobachteten über acht Jahre ihren Gesundheitszustand. 10.000 Frauen aus jeder Gruppe wurden anschließend verglichen. Dabei zeigte sich, dass 60 der „Pessimistinnen“ an koronaren Herzerkrankungen litten, aber nur 43 der „Optimistinnen“. 46 Frauen mit fröhlichem Naturell starben in dem Zeitraum – unter den Schwarzseherinnen waren es 63. Tindle vermutet, dass der durch Pessimismus zusätzlich ausgelöste Stress eine Rolle spielt: Er könne sich negativ auf Herzfrequenz, Atmung und Stoffwechsel auswirken.
Positives Denken ist aber keine Garantie für ein langes Leben. Übersteigerter Optimismus kann sogar ein Risikofaktor sein – gerade im Alter. Dies zeigt eine Studie von Forschern der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) gemeinsam mit dem DIW Berlin, der HU Berlin und der Universität Zürich. Was die Forscher überraschte: Schätzten die Teilnehmer ihre zukünftige Lebenszufriedenheit überdurchschnittlich hoch ein, erhöhte sich ihr Risiko für körperliche Einschränkungen und das Sterberisiko um etwa zehn Prozent. „Möglicherweise ermuntern pessimistische Zukunftserwartungen die Senioren dazu, noch besser auf die eigene Gesundheit zu achten und sich vor Gefahren zu schützen“, sagt Frieder Lang, Leiter des Instituts für Psychogerontologie an der FAU.
Senioren glücklicher als vor 20 Jahren
Insgesamt überwiegt jedoch der Optimismus. Nie waren ältere Menschen zufriedener als heute, wie beispielsweise die Berliner Altersstudie zeigt. Sie klopft seit den 1990er-Jahren das Wohlbefinden der über 60-Jährigen hierzulande ab. Eine zentrale Erkenntnis: 75-Jährige fühlen sich im Durchschnitt fitter, glücklicher, weniger einsam und fremdbestimmt als noch vor 20 Jahren. Die Glückskurve, die die Zufriedenheit im Lebensverlauf abbildet, erreicht im Alter sogar fast das Niveau aus Jugendzeiten.
Das hat auch viel mit einem Bewusstseinswandel zu tun. Vor Jahrzehnten fühlten sich die Menschen mit dem Renteneintritt abgeschoben und nutzlos, das Ende der Arbeit kam einem Verlust an Lebenssinn gleich. Heute hingegen sehen viele Menschen im Ruhestand die Chance zur Selbstverwirklichung. Die Basis dafür schafft die steigende Lebenserwartung und mit ihr der Zugewinn an gesunden Jahren. Für nachkommende Generationen ergeben sich noch mehr Chancen, glücklich und aktiv zu altern.
Der Berliner Fritz Koch macht ihnen schon mal vor, wie weit man es mit Optimismus im Leben bringen kann.