Stadt- und Quartiersplanung

27.11.2017

Demo­gra­fi­scher Wan­del for­dert die Städte her­aus

Kommunen altersgerecht zu gestalten, wird zur Hauptaufgabe für die Planer. Es geht um barrierefreies Bauen, neue Treffpunkte und längere Grünphasen an Ampeln.

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Am Duisburger Innenhafen enstand vor einigen Jahren ein neues Wohngebiet. Im Quartier fanden auch Senioren in altersgerechten  Wohnungen ein Zuhause.

Wenn Wolfgang Frey Häuser und Wohngebiete entwirft, leiten ihn vor allem zwei Fragen: Wie kann auch im Alter ein gutes Leben in der Stadt aussehen? Und wie schafft man es, aus bloßen Nachbarn eine Gemeinschaft zu machen? Antworten gibt der Architekt im Freiburger Stadtteil Rieselfeld: 80 Hektar, 5.000 Wohnungen, ein weitläufiges Quartier, das alles andere ist als eine „Schlafstadt“. Vielmehr erinnert das Ganze an ein Dorf in der Stadt. Die ältere Dame lebt hier Tür an Tür mit der Studentin, die alleinerziehende Mutter neben der Senioren-WG.

„Wir haben riesige Herausforderungen vor uns“, sagt Frey und meint damit vor allem den demografischen Wandel, der auch die Einwohner deutscher Städte immer älter werden lässt. Dass seine Gebäude von der Tiefgarage bis hinauf zum Dach barrierefrei sind und man Cafés, Geschäfte und Dienstleistungen fußläufig erreicht, sei daher selbstverständlich und kaum der Rede wert. Doch das reiche natürlich nicht. Keine „Verwahranstalten“, sondern echte „Lebensräume“ bräuchten die Städte. Architektur könne dabei helfen, Solidarität und soziale Teilhabe zu fördern.

Idee vom Mehrgenerationenhaus – nur in Groß

Freys Grundidee: eine „Living-Community“, das Konzept des Mehrgenerationenhauses ausgeweitet auf ein ganzes Quartier. Und das funktioniert in Rieselfeld an allen Ecken. Sei es in den Fluren, die lichtdurchflutet und mit Bänken ausgestattet die kommunikative Funktion von Dorfplätzen übernehmen, oder auf den Dachgärten, die von den Bewohnern gemeinsam bestellt und gepflegt werden. Auch das Quartiersbüro vermittelt den Kontakt zwischen den Menschen: Ein Rentner braucht Hilfe beim Einkaufen? Das übernimmt jemand aus der Studenten-WG. Eine Mutter sucht einen Babysitter? Eine Seniorin springt ein. Über eigene Facebook-Gruppen vernetzen sich die Rieselfelder. „Wir wollen die Anonymität durchbrechen und gesellschaftliche Strukturen bewegen“, sagt Frey.

Freiburg lockt mit seiner Universität und den vielen starken Unternehmen viele junge Menschen an, so dass die Bevölkerung noch recht ausgeglichen ist. Andere Städte hat der demografische Wandel dagegen schon viel stärker erfasst. In ehemaligen Industriezentren wie Dortmund, strukturschwachen Städten wie Görlitz und ländlichen Mittelstädten wie Offenburg liegt der Anteil der über 64-Jährigen bereits bei über einem Drittel.  Dort ist der Druck besonders groß, das städtische Umfeld an eine älter werdende Bevölkerung anzupassen.

Menschen sollen lange im vertrauten Umfeld leben können

In Dortmund befasst man sich beispielsweise schon seit 15 Jahren mit dem Thema. Um altersfreundlicher zu werden, investiert die Ruhrgebietsstadt jährlich 1,5 Millionen Euro in die Verbesserung des sozialen Lebens und der Wohnumfelder, der Mobilität, Nahversorgung und Sicherheit. „Unser Ziel: Ältere sollen lange und gut in ihrer eigenen Häuslichkeit, in ihrem Wohnumfeld leben und aktiv am Stadtleben teilhaben können“, sagt Reinhard Pohlmann, Leiter der hiesigen Seniorenarbeit. Einer Umfrage des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung zufolge verbringt ein Viertel der über 70-jährigen Deutschen die überwiegende Zeit in den eigenen vier Wänden. Nicht zuletzt, weil die Umgebung den Bewegungsradius einschränkt, weil Sitzgelegenheiten zum Verschnaufen fehlen oder Treppen zu Hindernissen werden und Aufzüge nicht vorhanden sind.

In vier Quartieren testet man in Dortmund verschiedene Maßnahmen – und arbeitet dabei eng mit den älteren Menschen zusammen. Bei regelmäßigen Bürgerwerkstätten ist deren Blickwinkel gefragt: Wo ist es altersfreundlich und wo nicht? Wo fehlen Bänke, öffentliche Toiletten, sichere Fuß- und Radwege? Wie steht es um die medizinische Versorgung? Und wo sollte man einen Bringdienst für Lebensmittel einführen? „Wir haben viel zu tun – von der Stärkung der Nachbarschaft bis hin zur Reparatur kaputter Bürgersteige“, so Pohlmann.

Barrierefreiheit endet nicht an der Haustür

Mit diesen Fragen wird sich über kurz oder lang jede Stadt befassen müssen. Denn eines ist klar: Die Lebenserwartung der Einwohner steigt überall, eine altersgerechte Wohnung nützt nichts, wenn die Barrierefreiheit an der Haustür endet. Viele deutsche Städte haben das Thema durchaus auf ihrer Agenda, betreiben jedoch – anders als Dortmund – meist „nur“ eine herkömmliche Seniorenpolitik.

Dass der demografische Wandel allerdings mehr verlangt als alljährliche Seniorenmessen oder Beratungsstellen zur Beantragung von Sozialleistungen , darauf weist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrem Programm „Age–friendly Cities and Communities“ hin. Weltweit nehmen 210 Städte daran teil und verpflichten sich zur Umsetzung eines strengen Leitfadens mit Punkten wie „gut lesbare Fahrpläne“, „generationsübergreifende Angebote“ oder „Einbindung Älterer in den Arbeitsmarkt“. Eine deutsche Stadt ist bisher nicht dabei.

Spazierwege und Nahverkehr – optimiert für Senioren

Wie es funktionieren kann, zeigt ein Blick ins Ausland: ins St. Louis County in den USA zum Beispiel. Dort wurde gerade der öffentliche Nahverkehr altersgerecht runderneuert, wurden Spazierrouten für Ältere konzipiert und Parks erweitert. Zudem unterstützt die Verwaltung die Menschen bei der Bildung von Fahrgemeinschaften, bietet Programme an, bei denen Kinder und Senioren gemeinsam gärtnern oder angeln und bringt Unternehmen mit Rentnern zusammen, die gern noch einmal beruflich einsteigen wollen.

Auch in den englischen Städten Manchester und Newcastle, beide Vorreiter in Sachen Altersfreundlichkeit, fährt man den Kurs, die Alten nicht als Bürde, sondern als  wichtigen Teil des Stadtlebens zu betrachten. Die örtlichen Hochschulen ziehen die Meinung der Senioren heran, um zu erforschen, wie man das Stadtbild verbessern könnte. Ehrenamtliche organisieren Projekte für eine aktive Nachbarschaft oder rufen Alleinstehende regelmäßig an, um an Arzttermine zu erinnern oder einfach nur zu plaudern. Zu generationsübergreifenden Meeting kommen sogar Teenager und werden dazu angeregt, sich über ihr eigenes Älterwerden Gedanken zu machen.

Was Älteren nützt, hilft auch Jüngeren

Für Architekt Frey und Seniorenpolitiker Pohlmann sind die Bedürfnisse der Älteren ohnehin ein Gradmesser, wie lebenswert eine Stadt ganz allgemein ist. Ampeln mit Zeitangabe fände Pohlman eine gute Idee für die Zukunft: „Darüber würden sich schließlich alle freuen“ – vom Schüler über die Mutter mit Kinderwagen bis hin zur älteren Dame.