Einstellung zum Alter

25.09.2023

„Viel­fäl­tige Alters­bil­der sind eine echte Win-Win-Situa­tion für alle“

Unser Bild vom Alter prägt mit, wie wir später leben, sagt Forscherin Verena Klusmann. Wer die Potenziale sieht, betreibt auch mehr Eigenvorsorge – und gewinnt so an Lebenszeit. Der Effekt ist enorm.

Frau Klusmann, Sie sind Altersforscherin, was denken Sie über Ihr eigenes Alter?

Verena Klusmann: Ich freue mich auf mein Älterwerden und genieße jede Phase meines Lebens. Aber manchmal frustrieren mich starre Altersbeschränkungen. Sie gaukeln uns vor, dass es eine Gleichheit gibt, einen guten Orientierungspunkt, um Menschen einzuordnen und Entscheidungen für Menschen zu treffen. Dabei fördern Altersgrenzen das Schubladendenken der Menschen und damit die Entstehung von einseitigen Altersbildern.

Wie definieren Sie den Begriff?

Klusmann: Altersbilder sind all das, was unsere Vorstellungen vom Älterwerden ausmacht. Bestimmte Erwartungen an das eigene Handeln und die eigene Entwicklung, aber auch was man über andere denkt.

Sind Altersbilder per se negativ?

Klusmann: Nein, durchaus nicht. Darunter ist alles zu verstehen, was an Vorstellungen existiert. Auch Wünsche und Hoffnungen spielen eine Rolle. Sie beeinflussen mit, wie wir altern. Wenn man jedoch denkt, das Leben wäre im Alter sowieso vorbei, entwickeln sich die negativen Erwartungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung, so zeigt es die Forschung.

Ich muss also umgekehrt nur positiv denken, und schon habe ich später ein besseres Leben?

Klusmann: Ganz so einfach ist das tatsächlich nicht. Positive Altersbilder sind nicht gleichzusetzen mit Optimismus, auch das haben wir erforscht. Aber ein differenzierter Blick auf das Alter, der auch Ressourcen und Potenziale sieht, bewirkt zum Beispiel, dass man gesundheitlich vorsorgt, körperlich aktiv ist, auf gute Ernährung achtet – generell Selbstfürsorge betreibt. Aber auch, dass man sich finanziell absichert. In der Forschung wird von einem längeren Leben zwischen 7 und neuerdings sogar 13 Jahren allein durch positive Antizipation des Alters ausgegangen.

Sie fordern in einem White Paper vielfältigere Altersbilder. Was würde sich damit in unserer Gesellschaft verändern?

Klusmann: Die Menschen wären eher dazu bereit, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und gemeinsam Dinge zu gestalten, nicht gegeneinander zu arbeiten. Generell würde sich auch das Vorsorge- und Präventionsverhalten verändern. Und das bereits in jungen Lebensjahren, denn auch hier finden wir bereits Gewinne durch differenzierte Altersbilder. Mit vielfältigen Altersbildern tut man nicht nur was für die Gesellschaft, sondern auch für sich selbst, über die gesamte Lebensspanne – eine echte Win-Win-Situation.

Wie ließe sich die Einstellung zum Alter in der Gesellschaft verbessern?

Klusmann: Die Menschen müssten früh für vielfältige Altersbilder sensibilisiert werden, angefangen in den Kitas und weiterführend in Schulen, um sich mit Klischees auseinanderzusetzen und diese zu diskutieren. In späteren Jahren wird es nämlich schwieriger, Stereotype in den Köpfen aufzulösen. Zudem sollte die Politik die Gesetzeslage mit den starren Altersgrenzen als Zäsur überdenken. Wir bräuchten individuellere Beurteilungskriterien und auch eine stärkere Berücksichtigung von persönlichen Wünschen.