„Sehr gute Aussichten, 100 Jahre alt zu werden“
Molekularbiologe Björn Schumacher forscht an den Ursachen des Alterns. Das Ziel: Neue Therapien zu entwickeln, die die gesunde Lebensspanne noch verlängern.
Professor Björn Schumacher arbeitet als Molekularbiologe und Alternsforscher an der Universität Köln. Er ist zugleich Präsident der Deutschen Gesellschaft für Alternsforschung.
Herr Schumacher, die Menschen werden immer älter, unsere Lebenserwartung steigt kontinuierlich. Wie lange kann das biologisch gesehen noch so weitergehen?
Björn Schumacher: Unsere Lebenserwartung steigt jedes Jahr um drei Monate. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Es gibt aus heutiger Sicht keinen Grund, von einem Limit der Lebenserwartung auszugehen. Die älteste Frau, die Französin Jeanne Calment, hat es bereits auf 122 Jahre gebracht. Wer heute geboren wird, hat sehr, sehr gute Aussichten, 100 Jahre alt zu werden. Und eines Tages könnten wir vielleicht auch die 200 Jahre erreichen.
Der medizinische Fortschritt ist ein wichtiger Faktor für unser langes Leben. Arbeiten Sie an einem alten Menschheitstraum, dem Jungbrunnen?
Schumacher: Es wir vermutlich keine magische Pille geben, sondern eine Kombination verschiedener Therapien. Die Molekularbiologie hat in den letzten zwanzig Jahren riesige Fortschritte erzielt: Wir können mittlerweile genau sagen, welche Gene unsere Lebensdauer begrenzen. Wir zeigen ganz exakt, dass die Fehlfunktion eines einzigen Proteins eine altersbedingte Krankheit wie Alzheimer auslöst. Das ist ein guter Anfang.
Altersbedingte Erkrankungen müssen wir systematisch verhindern – und dazu müssen wir beim Alterungsprozess selbst ansetzen.
Wie kann ich mir das vorstellen: Ist das Ziel eine biologische Waffe, die Krebs, Alzheimer und andere Krankheiten gleichermaßen bekämpft?
Schumacher: Altersbedingte Erkrankungen müssen wir systematisch verhindern – und dazu müssen wir beim Alterungsprozess selbst ansetzen. Wenn wir morgen die magische Therapie für alle Krebsarten hätten, würde sich die durchschnittliche Lebenserwartung gerade mal um drei Jahre erhöhen. Weil dann schon die nächste Erkrankung nur darauf wartet, auf den Plan zu kommen.
Wie wollen Sie diese Therapien gegen das Altern entwickeln?
Schumacher: Wir untersuchen das Altern in verschiedenen Tiermodellen. Fadenwürmer spielen da eine ganz besondere Rolle, aber auch bei Mäusen ist es schon gelungen, die gesunde Lebensspanne deutlich zu verlängern. Beim Menschen zeigt die weltweit zunehmende Zahl der 100-Jährigen, dass es möglich ist, gesund zu altern. Denn viele von denen sind frei von den altersassoziierten Krankheiten. Wir schauen, wie genau das funktioniert, um daraus Therapien zu entwickeln.
Laut einer Studie unterschätzen Männer und Frauen ihre Lebenserwartung im Schnitt um sieben Jahre. Wie kommt das?
Schumacher: Das hängt zum einen mit unserer Kurzsichtigkeit bei der eigenen Lebensplanung zusammen. Junge Leute sagen oft, sie wollen gar nicht 80 Jahre werden, aber kein 79-Jähriger will nächstes Jahr sterben. Zum anderen sind wir eigentlich nicht dafür gemacht, so alt zu werden: Erst in den letzten 200 Jahren hat sich die Lebenserwartung verdoppelt. Wir sind von der Evolutionsgeschichte her dafür ausgelegt, bis Mitte 30, Mitte 40 gut durchzuhalten. Unsere Selbstwahrnehmung hängt angesichts der aktuellen und künftigen Lebenserwartung einfach noch hinterher.
Die Menschen werden ja nicht nur älter, sie altern auch anders.
Schumacher: Ja, das ist die gute Nachricht: Die heute 60-Jährigen sind wesentlich fitter als noch die 60-Jährigen vor 40, 50 Jahren. Nicht nur die Lebensspanne, auch die Gesundheitsspanne hat sich deutlich verlängert. Unser Ziel als Forscher ist es, die gesunde Lebensphase stark zu verlängern. Wir wollen die Jahre mit Leben füllen und nicht nur das Leben um Jahre anfüllen.
Wir können weit über den Eintritt ins Rentenalter hinaus planen.
Wie verändert die Menschen ein immer längeres Leben?
Schumacher: Die Aktivität und Selbstverwirklichung der alten Menschen heutzutage ist etwas Neues. Wir können weit über den Eintritt ins Rentenalter hinaus planen. Diese Zeit müssen wir umgekehrt aber auch planen. Denn das Ausscheiden aus der Arbeitswelt, das immer früher passiert in Bezug auf das Gesamtleben, bringt auch Probleme mit sich. Wir müssen uns darauf einstellen, die sozialen Kontakte aus dem Arbeitsleben und das Sinnstiftende der Arbeit auszugleichen. Diese Überlegungen lohnen sich ja gerade, weil wir länger leben, als wir denken.
Wie muss sich die Gesellschaft darauf einrichten, dass wir älter werden?
Schumacher: Eines steht fest: Wir können nicht einfach weitermachen wie bisher. Wir müssen finanziell vorsorgen und Krankheiten, die nicht nur Leid, sondern auch viele Kosten verursachen, vermeiden.
Was sind Ihre ganz praktischen Tipps: Wie werde ich 100 Jahre alt?
Schumacher: Unsere Lebenserwartung ist zu 25 Prozent genetisch, 75 Prozent können Sie durch Ihren Lebenswandel steuern. Es wird Sie vielleicht nicht überraschen: Treiben Sie moderaten Sport und ernähren Sie sich gesund! Vermeiden Sie Risiken, indem sie nicht rauchen. Gerade junge Menschen sollten ihr Leben dahingehend verändern. Aber dafür ist es nie zu spät: Man kann zu jeder Zeit im Leben etwas für seine Gesundheit zu tun – und sein Leben und vor allem die gesunden Jahre deutlich verlängern.