Sex im Alter

20.10.2016

„Rede mal drü­ber!“

Immer mehr Senioren haben noch ein reges Liebesleben. Die Sexologin Ann-Marlene Henning kennt die Gründe und weiß, wie sich die Lust aufeinander noch im Alter erhalten lässt.

Frau Henning, eine aktuelle Langzeitstudie der Universität Leipzig zeigt, dass viele Menschen über 60 Jahre heute sexuell aktiver sind als vor zwanzig Jahren. Überrascht Sie dieses Ergebnis?

ANN-MARLENE HENNING: Das überrascht mich überhaupt nicht. Viel Ältere sind heute sexuell aktiv, das bestätigen mir Klienten regelmäßig in meiner Praxis! Wir werden immer älter, bleiben gesünder und aktiver. Das sind beste Voraussetzungen für ein erfülltes Sexleben. Aus meiner Erfahrung gibt es unter den Älteren zwei Gruppen: Die, die schon immer ungern Sex hatten, sind vielleicht erleichtert, das Thema aus Altersgründen abzuschließen. Eine wachsende Gruppe hingegen sind die Aktiven, die schon immer Sex hatten und ihn auch gerne weiter haben wollen. Sie nehmen das Leben mehr in die Hand, sind glücklicher und machen mehr aus dieser neuen Lebensphase.

Bei den Jungen sieht es ganz anders aus. Die haben immer weniger Sex, besonders junge Singles zwischen 18 und 30 Jahren. Wie können Sie sich das erklären?

HENNING: Fast zwei Drittel der jungen Menschen sind derzeit nicht in festen Beziehungen, dadurch können sie nicht so „routiniert“ intim werden wie in einer Partnerschaft. Zusätzlich beobachte ich auch eine gewisse Rückzugshaltung bei Jüngeren, wenn es um Intimität mit einem Partner geht. Das hängt vielleicht auch mit der Omnipräsenz von Sex in den Medien zusammen, der sich junge Menschen heute manchmal eher entziehen möchten.

Die großen Gewinnerinnen sind Frauen über 60: Sie haben heute deutlich mehr Sex. Alleinstehende Frauen haben sogar doppelt so viel Sex wie vor 20 Jahren. Woran liegt das?

HENNING: Ich finde es ganz toll zu sehen, dass Frauen jetzt aufholen, denn sexuelle Tabus trafen – und treffen zum Teil noch heute – Frauen lange viel stärker als Männer. Heute jedoch tragen sowohl jüngere als auch ältere Frauen weniger Schamgefühle mit sich herum als früher und können freier mit ihren Wünschen umgehen. Die heute ältere Generation profitiert von den ‚wilden 70ern’. Für mehr Frauen ist es leichter geworden, selbstbewusst mit ihrem Körper umzugehen. Früher haben viele ältere Frauen einfach nur mitgemacht. Heute wollen sie ihren Körper noch mal neu entdecken.

Kennen Sie aus Ihrer Erfahrung so etwas wie ein Erfolgsrezept für ein erfülltes Sexleben im Alter?

HENNING: Die hormonellen Veränderungen wirken sich zum Teil auf den Sex aus – aber nicht nur zum Negativen, wie viele denken würden! Eine 70-jährige Frau sagte erst kürzlich zu mir: „Super, dass die Männer jetzt langsamer machen müssen, dann können wir endlich guten Sex haben!“ Gut ist in jedem Fall auch, mehr über den eigenen Körper zu wissen. Wer es dann noch schafft, eine übertriebene Scham zu vermeiden und eine gute Kommunikation mit dem Partner zu haben, liegt weit vorne. Deshalb ist mein kurzer Tipp meistens: Rede mal drüber! Wenn man über intime Themen sprechen kann, kommen neue Ideen wie von alleine zum Vorschein, wie zum Beispiel eine neue Stellung vorzuschlagen, wenn ein Partner Knieschmerzen hat. Es wird dann immer leichter, Dinge zu sagen, die sonst als Peinlichkeit abgetan worden wären.

Wie schauen Sie selbst auf das Alter?

HENNING: Als ich jung war, wurde noch hinter vorgehaltener Hand über ‚Sex ab 40’ gesprochen und heute ist ‚Sex ab 60’ ganz normal geworden. Ein Glück! Ich gehöre zur Babyboomer-Generation und die ist sicherlich ganz anders gestrickt als die Älteren früher. Bei uns ist das Motto eher: „Warte mal ab, bis ich nicht mehr arbeite und Zeit habe, meinen Körper zu genießen und auch Sex zu haben!“ Ich glaube wirklich, dass meine Generation sich mehr darauf freut älter zu werden. Wir stellen andere Erwartungen und uns stehen ganz tolle Möglichkeiten offen!