„Positive Sicht auf das Leben“
Der Autor Rei Gesing hat für sein Buch 100-Jährige gefragt, was Glück und Lebenssinn für sie bedeuten. Und dabei gelernt, dass Optimismus viel mit Gelassenheit zu tun hat.
Rei Gesing ist Autor und Unternehmensberater.
Herr Gesing, in ihrem Buch „Die Weisheit der 100-Jährigen“ lassen sie hochaltrige Menschen auf ihr Leben zurückblicken. Wie sind Sie auf die Idee für das Projekt gekommen?
REI GESING: Die Idee kam mir bei meiner Tätigkeit als Unternehmensberater. Ich unterstütze Menschen bei schwerwiegenden Entscheidungen im Leben. Und in den Gesprächen mit Mandanten stellten sich oft geradezu philosophische Fragen. Warum mache ich das? Was will ich eigentlich? Worum geht es im Leben? Ich fand es deshalb nur logisch, diese Fragen einmal mit den Menschen zu besprechen, die ein Vielfaches mehr an Erfahrungen gesammelt haben.
Aber warum?
GESING: Zum einen aus persönlicher Neugier, aus eigenem Interesse an Biografien. Aber auch als jemand, der Vorbilder sucht, für sich selbst und für die Menschen, die in meine Beratung kommen und denen Vorbilder fehlen.
„Die Menschen haben es nach Schicksalsschlägen immer geschafft, ihre Aufmerksamkeit schnell wieder nach vorne zu richten.“
Was macht denn ihre Protagonisten zu Vorbildern?
GESING: Es ist vor allem ihre positive Sicht auf das Leben, die häufig mit einer gewissen Gelassenheit einhergeht. Die Menschen haben es nach Schicksalsschlägen immer geschafft, ihre Aufmerksamkeit schnell wieder nach vorne zu richten. Es sind Menschen, die von sich sagen, dass sie nie wirklich Krisensituationen erlebt haben – und das bei all dem, was diese Generation erlebt hat.
Die Menschen in ihrem Buch erscheinen durchweg zufrieden mit ihrem Leben und ihrer aktuellen Situation. Begleiterscheinungen des Alters wie Krankheit oder Einsamkeit kommen kaum zur Sprache.
GESING: Es hat eine Vorauswahl gegeben. Ich wollte für das Buch diejenigen haben, die trotz ihres biblischen Alters heiter, zufrieden und neugierig sind. Die mit 90 oder 100 Jahren noch Fahrrad fahren und fit im Kopf sind.
Zeichnen Sie damit nicht ein sehr einseitiges Bild vom Alter?
GESING: Die Gesprächspartner bilden nicht den Querschnitt der Alten ab, das ist völlig klar. Darum ging es mir auch nicht. Ich wollte Vorbilder zeigen, an denen man sich orientieren kann. Ich wollte die Menschen nicht fragen, was sie bereuen oder falsch gemacht haben im Leben, sondern den Schwerpunkt auf das Positive legen. Was haben sie richtig gemacht? Wie haben sie Stress und Krisen gemeistert? Und wie ist es ihnen gelungen, so lange noch selbstbestimmt und aktiv zu leben?
Und wie lautet die Erkenntnis?
GESING: Es sind vier Tugenden, die ich als Erkenntnis mitgenommen habe: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Besonnenheit. Zu wissen, welche Mittel in welcher Situation die richtigen sind. Selbstachtung zu haben, aber auch respektvoll und tolerant den Mitmenschen zu begegnen. Den Mut zu haben, zu seinen Überzeugungen zu stehen und selbst im Alter noch dazuzulernen. Und zuletzt einen besonnenen Umgang mit den eigenen Bedürfnissen zu finden. Das heißt, Wünsche, Talente und Sehnsüchte nicht zu verleugnen, sondern anzunehmen.
Sie haben ihre Gesprächspartner auch gefragt, was sie jungen Menschen wünschen und raten. Gibt es einen gemeinsamen Nenner in den Antworten?
GESING: Ich habe eine gewisse Besorgnis herausgehört. Darüber, dass die Menschen nicht mehr zu schätzen wissen, was Frieden ist und ihn als allzu selbstverständlich betrachten. Es ist so eine Art Mahnung an die jüngeren Generationen. Und die politische Lage derzeit zeigt ja auch, wie aktuell der Appell ist
„Die Weisheit der 100-Jährigen“
Während seiner Arbeit als Unternehmensberater streifte Rei Gesing in Gesprächen mit Mandanten oft grundsätzliche Fragen des Lebens: Wofür mache ich das eigentlich? Was ist mir wichtig? „Und so fand ich es nur logisch, einmal Menschen zu befragen, die ein Vielfaches mehr an Erfahrung gesammelt haben als ihre Mitmenschen und die völlig anders auf das Leben blicken“, erzählt der Autor. Die bewegenden Antworten seiner – inzwischen zum Teil verstorbenen – Gesprächspartner hat er in einem Buch zusammengetragen. Es ist im Solibro Verlag erschienen und kostet 30 Euro