„Jeder Mensch braucht mindestens einen Freund“
Soziale Kontakte sind wichtig für ein gesundes und langes Leben, sagt Psychologe Michael Thiel. Und selbst wenn es schwerer fällt: Auch im Alter lassen sich neue Freunde finden.
Der Psychologe Michael Thiel arbeitet seit über 20 Jahren in der Ehe- und Paarberatung und hilft Menschen bei beruflichen oder allgemeinen psychischen Problemen. Bekannt ist er durch viele TV-Auftritte.
Herr Thiel, warum sind soziale Kontakte so wichtig?
Michael Thiel: Freundschaften beziehungsweise soziale Kontakte sind seit jeher überlebenswichtig. Schon bei den Neandertalern war es gut, wenn man mit Freunden zusammen gegen den Säbelzahntiger angehen konnte. Seitdem gibt es dieses Gefühl von Freunden als Gesundbrunnen – psychologisch und medizinisch. Denn Menschen, die Freunde haben, haben weniger Stress. Und wer weniger Stress hat, dem geht es einfach besser und der lebt auch sehr viel länger.
Aber braucht wirklich jeder Mensch Freunde oder gibt es individuelle Unterschiede?
Thiel: Jeder Mensch braucht mindestens einen Freund. Das ist wichtig. Aber es gibt natürlich diejenigen, die ganz viele benötigen. Die sagen: „Ich brauche ganz viel Liebe und gebe auch ganz viel“. Und dann sind da die Distanzierten, die wollen eher ihre Ruhe haben, denen reicht ein Freund. Dann gibt es noch Wechsel-Menschen, die ständig auf Partys sind und viele Freunde haben. Und Dauer-Menschen, die haben ein Leben lang zumindest einen Freund und pflegen diese Beziehung auch. Also einer ist Pflicht, alles andere ist Kür. Und da ist jeder verschieden.
Lassen sich Freunde ersetzen, beispielsweise durch Internetbekanntschaften, Haustiere oder enge Verwandte?
Thiel: Für echte Freundschaften braucht es irgendwann den direkten Kontakt. Man muss den anderen sehen, ihn erleben, mal in den Arm nehmen können. Das Internet kann aber Kontakte und Freundschaften anbahnen und sie lassen sich darüber vielleicht pflegen, wenn sie erstmal da sind. Tiere können Freunde durchaus ersetzen, weil sie Bindungen schaffen und das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit geben können. Und gute Verwandte sowieso!
Warum nimmt mit dem Alter die Zahl der Freundschaften ab?
Thiel: Das ist ganz natürlich. Je älter wir werden, desto wählerischer sind wir auch. Freunde fallen weg, ziehen weg, sterben auch. Und wir haben weniger Zeit zur Verfügung und wollen diese nur mit netten Leuten verbringen. Und da gibt es eben nicht so fürchterlich viele. Die wenigen Freundschaften pflegen wir dann aber.
Wie kann es dennoch gelingen, im Alter neue Bekanntschaften zu machen?
Thiel: Nur von zu Hause aus oder über das Internet geht das nicht. Dafür müssen wir aktiv werden. Man sollte sich überlegen, welche Hobbys und Interessen man hat oder ob vielleicht ein Ehrenamt infrage kommt? Und dann dahingehen, wo gleichgesinnte Menschen warten. Das ist der Nährboden für Freundschaften. Und wenn Sie dann das Gefühl haben „Ja, die gefallen mir gut“ dann raus mit ihnen, mit diesen Freundschaften.