„Große Chance, Laufbahnen und Karrieren neu zu gestalten“
Wir leben länger und bleiben länger gesund. Daher sollten wir unser Berufsleben neu ordnen, sagt die Autorin Margaret Heckel. Mit mehr (Lern-)Pausen zwischendurch und längerem Arbeiten hintenraus – aber zu den eigenen Konditionen.
Margaret Heckel ist Journalistin, Moderatorin und Autorin. In ihren Texten, Vorträgen und Büchern befasst sich die Volkswirtin schwerpunktmäßig mit den Themen demografischer Wandel und Generationengerechtigkeit.
Frau Heckel, Sie sind Jahrgang 66. Haben Sie sich schon mal überlegt, was Sie tun werden, wenn Sie in Rente sind?
Margaret Heckel: Ich habe als Journalistin einen tollen Job. Und den möchte ich weiter ausüben. Ich beschäftigte mich viel mit den Facetten des demografischen Wandels. Die Themen werden mit sicher nicht ausgehen.
Ihr neues Buch trägt den Titel „Der Weg in den Unruhestand“. Wollen Sie damit andere überzeugen, es Ihnen gleichzutun?
Heckel: Genau. Ich möchte, dass mehr Leute darauf Lust bekommen. Ich will den Menschen vermitteln, dass sie viel länger leben werden, als sie glauben, und auch viel länger gesund leben. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Jahrhundert ein Jahrhundert der 100-Jährigen wird, dass immer mehr Menschen ein Alter von 90, 95 oder 100 Jahren erreichen. Und das bietet die große Chance, Laufbahnen und Karrieren neu zu gestalten.
Was stellen Sie sich vor?
Heckel: Wir müssen die traditionelle Dreiteilung des Lebens in Lernen, Arbeiten und Ausruhen neu justieren. Diese drei Phasen werden sich aus meiner Sicht künftig über das gesamte Leben hinweg permanent abwechseln. Wenn wir 100 Jahre Zeit haben, müssen wir nicht mehr alles in der Rushhour des Lebens erreichen, sondern können die Lebensmitte entzerren. Zugleich wird die künstliche Intelligenz die Jobprofile so schnell ändern, dass Menschen schon deshalb immer wieder Zeit für Weiterbildung benötigen oder gar ihren Beruf wechseln. Regelmäßige Auszeiten werden zu diesem 100-jährigen Leben dazugehören. Dann ist aber auch klar, dass wir gegen Ende hin länger arbeiten – aber zu unseren Konditionen. Das müssen wir als Gesellschaft ermöglichen.
Was braucht es dafür?
Heckel: Wir brauchen zum einen Modelle, mit denen wir Arbeitszeit ansparen können, um sie in den Lern- oder Ausruhphasen wieder zu entsparen. Wir brauchen Fördermodelle, mit denen wir Lernen auch mit 40 oder 50 finanziell unterstützen, also so etwas wie ein lebenslanges BAföG. Und wir brauchen modulare Zugänge in neue Berufe – gerade für Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Es gibt zum Beispiel in der Mobilitätsbranche, wo der Fachkräftemangel besonders groß ist, inzwischen sehr gute Weiterbildungsprogramme. Da können Sie noch mit 60 Lokomotivführer oder Busfahrerin werden, solange der Arzt sie für fit erklärt. Ein paar dieser Beispiele schildere ich in dem Buch.
Was halten Sie von dem Instrument einer bezahlten Bildungszeit, wie es sie in Österreich gibt?
Heckel: Wenn sie den Umstieg zwischen Berufen fördert, warum nicht. Aber ich bin kein Fan von Bildungsurlauben. Die führen eher selten dazu, dass jemand beruflich sich wirklich neu profilieren kann.
Viele Ältere machen eher die Erfahrung, mit 50 schon auf dem Abstellgleis zu stehen und nicht mehr gefragt zu sein.
Heckel: Das stimmt. Auch die Arbeitgeber müssen sich umstellen. Sie werden gar nicht umhinkommen, sich zu Organisationen zu wandeln, wo Weiterbildung mehr Raum einnimmt und wo auch die Beschäftigten die Chance bekommen, etwas Neues zu machen. Nur so lässt sich der zunehmende Fachkräftemangel beheben. Und es erhöht die Mitarbeiterzufriedenheit.
Sorgt nicht auch die Jugend mit ihren Ansprüchen für Veränderungsdruck in den Unternehmen?
Heckel: Die junge Generation macht es intuitiv richtig. Was sie für sich einfordert – Sabbaticals, flexible Wechsel zwischen Teil- und Vollzeit oder die Viertagewoche –, das muss aber eben auch für Ältere möglich sein. Wie man die freie Zeit letztlich nutzt, ob zum Ausruhen oder fürs Lernen, ist eher zweitranging. Nur da sind wir eben noch nicht.
Wenn wir länger arbeiten sollen: Was spricht denn gleich gegen eine Anhebung des Renteneintrittsalters über 67 Jahre hinaus?
Heckel: Meine Präferenz wäre, das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren zu belassen und längeres Arbeiten auf freiwilliger Basis zu regeln. Alles andere führt zu politischen Kämpfen, die ablenken von dem, was wir wirklich brauchen: nämlich mehr Flexibilisierung beim Übergang vom Erwerbs- zum Rentenalter. Wir sollten alle Regeln im Steuerrecht oder bei den Sozialversicherungen durchforsten, die bislang eine Weiterbeschäftigung erschweren.
Welche bürokratischen Hürden gibt es noch?
Heckel: Wer heute zum Beispiel eine Teilrente bezieht und nebenbei noch arbeitet, muss doppelt Krankenversicherungsbeiträge bezahlen. Die kann man zwar später zurückfordern, aber das ist für die meisten viel zu kompliziert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat jüngst vorgeschlagen, die Arbeitslosen- und Rentenanteile der Arbeitgeber als zusätzliches Honorar direkt an die Arbeitnehmer auszuzahlen, wenn diese über die Regelarbeitsgrenze hinaus aktiv sind. Es gibt noch viele Möglichkeiten, um das Arbeiten im Rentenalter attraktiver zu machen. Das hat die Politik inzwischen verstanden.
Nun müssen die Menschen aber auch wollen. Und laut Umfragen hat die Mehrheit keine Lust auf Arbeit im Ruhestand.
Heckel: Ich glaube, die Menschen lassen sich mit zwei Argumenten gewinnen. Erstens, dass es sich finanziell lohnt und zweitens, dass Arbeit eben nicht nur Mühsal ist, sondern auch Erfüllung, Anerkennung und soziale Kontakte bringt – Dinge, die im Übrigen für ein gesundes Altern sehr wichtig sind. Deswegen brauchen wir nicht nur bessere rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen. Mindestens ebenso wichtig ist eine Firmenkultur, die wertschätzend gegenüber Älteren ist. Und das bedingt eben, dass man auf ihre Arbeitszeit- und Autonomiewünsche eingeht. Wenn Unternehmen schlecht mit ihren älteren Beschäftigten umgehen, dann helfen auch gesetzliche Änderungen nichts. Die Menschen werden so früh wie möglich aussteigen.
Aber was ist mit denen, die nicht länger arbeiten können, weil sie körperlich am Ende sind?
Heckel: Wir müssen auch einen anderen Umgang mit körperlich anstrengenden Berufen finden, die wegen der Automatisierung aber weniger werden. Im Automobilbau werden zum Beispiel bereits Exoskelette eingesetzt, die das Tragen von schweren Lasten erleichtern. Auch im Pflegebereich gibt es Hilfsmittel. Was aber wirklich entscheidend ist, und da komme ich an den Anfang zurück: Die Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass ihre Angestellten alle paar Jahre neue Arbeitsinhalte haben. Dass ein Dachdecker mit 50 eben nicht mehr auf dem Dach steht, sondern beispielsweise Drohnen steuert oder Kunden berät. Wenn wir das schaffen, dann lassen sich die körperlichen Belastungen, die es in einzelnen Branchen gibt, besser verkraften. Damit die Menschen eben nicht mehr fertig in Rente gehen. Und so greift eins ins andere.
Auf dem Weg in den Unruhestand
Wir leben länger und bleiben dabei länger gesund! Das ist für Margaret Heckel die Basis für eine Neuordnung unseres Arbeitslebens – und damit des Lebens insgesamt. In ihrem Buch „Auf dem Weg in den Unruhestand“ beschreibt die Journalistin, welche Möglichkeiten sich mit der steigenden Lebenserwartung für die Gestaltung von Karrieren ergeben. Dazu liefert sie konkrete Beispiele von Menschen, denen im höheren Alter ein beruflicher Neustart geglückt ist. Und sie verrät, wie der Jobwechsel auch jenseits der 50 gelingen kann. Das Buch ist im Redline-Verlag erschienen und kostet 20 Euro.