Engagement im Alter

23.05.2018

„Ein Tanz­kurs ist eine ganz tolle Sache“

Franz Müntefering kämpft heute für die Belange von Senioren. Im Interview verrät er, was Lebensqualität im Alter ausmacht – und was jeder dafür tun kann.

Herr Müntefering, auch nach Ihrem Abschied aus der Politik sind Sie weiter sehr aktiv. Sie sind unter anderem Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (Bagso) und Präsident des Arbeiter-Samariter-Bunds. Wollen Sie nicht mal etwas kürzertreten und ihren Ruhestand genießen?

FRANZ MÜNTEFERING: Ich will meine Ehrenämter noch ein paar Jahre machen, denn einmal dabei, kommt man von den Themen nicht mehr so schnell los. Und ein gutes Leben bedeutet für mich ohnehin, aktiv alt zu werden und mit anderen Menschen in Kontakt zu sein. Das ist das Beste, was man während des Älterwerdens tun kann.

Sind aktive Menschen die glücklicheren?

MÜNTEFERING: Ach, Glück ist so eine Sache. Das ist so eine Kategorie, die darf man nicht suchen. Ich glaube, wenn man sein Leben aktiv lebt, dann begegnet einem das Glück irgendwie. Und wenn es da ist, muss man es nutzen. Aber normalerweise denkt man ja nicht: ‚Ich will jetzt was tun, damit ich glücklich werde.‘ Sondern: ‚Ich will etwas tun, weil mir das Spaß macht, weil es wichtig ist, weil andere mich brauchen, weil ich etwas zusammen mit anderen organisieren und meinen Beitrag leisten kann.‘

Als Bagso-Chef setzen Sie sich für die Belange älterer Menschen ein. Wie wichtig sind denn soziale Integration, Anerkennung und Teilhabe für das Selbstwertgefühl und die Lebenszufriedenheit der Alten?

MÜNTEFERING: Das ist bei Alten und Jungen ähnlich. Aber man muss eben bei den Älteren darauf achten, dass sie eine Chance haben, Teil der Gesellschaft zu sein und ihrem Leben einen Sinn geben zu können. Das muss die Gesellschaft ermöglichen, das muss auch der Staat sichern, durch soziale Sicherheit. Aber auch die Menschen müssen das selbst wollen – und viele Ältere tun das auch.

Gibt so etwas wie eine „Glücksformel“ für das Alter?

MÜNTEFERING: Ich würde nicht „Glücksformel“ sagen, sondern „Formel für Lebensqualität im Alter“. Sie besteht für mich aus drei „Ls“: Das erste „L“ steht für „Laufen“, für Bewegung, um den Körper und damit auch den Kopf fit zu halten. Bewegung ist übrigens auch das beste Mittel gegen Demenz. Das zweite „L“ steht für „Lernen“, für das Neugierigbleiben und das aktive Gestalten des Lebens. Und das drittens „L“ bedeutet „Lachen“, sensibel zu sein für die guten Dinge des Lebens und Hindernissen mitunter auch mit Humor zu begegnen.

Gerade nach dem Wechsel in den Ruhestand fällt es vielen schwer, ihr Leben zu gestalten. Aus eigener Erfahrung: Wie verhindert man, dass man in ein Loch fällt?

MÜNTEFERING: Das Leben ist nur dann wirklich gut und interessant, wenn man ihm Sinn geben kann. Wenn man reist, liest, sich bewegt, Kultur macht – kurz: wenn man seine Neugier auslebt. Nach meiner Erfahrung ist es wichtig, sich rechtzeitig Gedanken zu machen und sich zu fragen: Wen habe ich dann eigentlich noch? Womit fülle ich die Woche? Wie strukturiere ich mein Leben? Ein Ehrenamt ist eine gute Möglichkeit aktiv zu werden und zu sagen: ,Leute, hier bin ich, ich helfe mit‘.

Kinder wohnen heutzutage weit entfernt, viele Ältere haben gar keine: Wird die Bedeutung von Vereinen und Ehrenämtern für die soziale Interaktion und Integration Älterer noch zunehmen?

MÜNTEFERING: Der Mensch braucht Bewegung und Begegnung. Bewegung für Körper und Geist, Begegnung in Form von sozialen Kontakten. Natürlich kann man neue Freundschaften und Bekanntschaften knüpfen, ohne gleich einen Verein zu gründen. Ob kleine Genossenschaft oder Gruppe – überall, wo sich Menschen organisieren, lässt sich Bewegung und Begegnung miteinander verbinden. Heutzutage gibt es hier so viele Formen, die wir früher gar nicht kannten. Das gilt auch für die Familie und das Zusammenwohnen.                                                          

Haben Sie einen Tipp für all jene, die im Alter eine neue Aufgabe suchen? Wie stellt man das an?

MÜNTEFERING: In den Städten gibt es meist spezielle Einrichtungen, die das Ehrenamt organisieren und bei denen man sich melden kann. Oder aber man wendet sich gleich ohne Umwege an Vereine, Verbände oder Organisationen. Wer sich mehr bewegen möchte: Ein Tanzkurs ist eine ganz tolle Sache! Wer sich geistig fordern will: An den Volkhochschulen kann man zahlreiche Kurse besuchen, an vielen Universitäten sogar ein Seniorenstudium absolvieren.