Reisen

07.07.2022

„Das ‚Reise-Gen‘ ver­schwin­det nicht im Alter“

Margot Flügel-Anhalt begibt sich als Rentnerin auf abenteuerliche Reisen in ferne Länder. Sie ist überzeugt: Dem Wunsch, die Welt zu erkunden, ist das Alter egal.

Margot Flügel-Anhalt ist 64, als sie zum ersten Mal auf einem Motorrad sitzt. Sitzt sich gut, findet sie, und so bricht die Rentnerin wenig später mit ihrer Honda XR 125 Richtung Osten auf. Vom kleinen hessischen Dorf Thurnhosbach durch 18 Länder bis zum Pamir Highway in Zentralasien. Kaum zurück, packt sie wieder das Fernweh. Also rein in ihren alten Mercedes-Benz und los. Dieses Mal 18.000 Kilometer bis nach Südostasien, nach Indien, Thailand und Laos. Die heute 68-Jährige ist fest überzeugt: Dem Wunsch, die Welt zu erkunden, ist das Alter egal.

Frau Flügel-Anhalt, wann haben Sie denn das Reisen für sich entdeckt?

Margot Flügel-Anhalt: Ich gehöre zu den Menschen, die so etwas wie ein „Reise-Gen“ besitzen. Die das Bedürfnis haben, immer wieder aufzubrechen, Neues zu erforschen und sich nicht gemütlich einzurichten. Das war schon so, als ich ein Kind war, und zieht sich durch mein ganzes Leben. Ich habe ein Jahr in Marokko gelebt, bin Tausende Kilometer auf dem Jakobsweg gewandert und mit meinem Mann und meinen Kindern in einem umgebauten Postbus durch Portugal gereist. Eine Kreuzfahrt oder All-inclusive-Urlaub habe ich nie gemacht. Das reizt mich auch heute überhaupt nicht.

Stattdessen reisen Sie allein von Ort zu Ort und setzen unterwegs auf Freiheit statt auf Luxus. Eine Art des Reisens, die man eher von Studenten kennt. Ist das überholt?

Flügel-Anhalt: Ja klar, viele Leute schauen sich ausgiebig die Welt an, wenn sie jung sind. Vielleicht auch, weil sie denken, dass danach alles vorbei ist. Aber das stimmt nicht. Für mich hat mein Alter bei der Reiseplanung überhaupt keine Rolle gespielt. Das „Reise-Gen“ verschwindet doch nicht im Alter. Unsere Gesellschaft traut älteren Menschen aber irgendwie nicht zu, die Welt auch auf solch eine Art zu erkunden. Das ist noch immer außergewöhnlich. Auf den Covern meiner Bücher sollte auch unbedingt mein Alter zum Zeitpunkt der Reisen stehen. Das wäre für mich nicht notwendig gewesen. Ganz ehrlich: Manchmal weiß ich selbst gar nicht, wie alt ich gerade bin. (lacht) 

Was reizt Sie denn am Alleine-Reisen besonders?

Flügel-Anhalt: Man ist einfach frei und eigenständig. Und wäre ich mit einem Mann unterwegs, wären mir viele Eindrücke entgangen. Denn in vielen Ländern Asiens würden die Menschen nur mit dem Mann sprechen – und nicht mit mir als Frau. So aber wurde ich respektiert. Natürlich sind es die Leute auch dort überhaupt nicht gewohnt, dass eine Frau in meinem Alter allein reist. War die erste Scheu jedoch überwunden, gab es ganz viel Neugierde und eine große Gast- und Hilfsbereitschaft.

Gab es nie Situationen, die brenzlig waren und in denen Sie gezweifelt haben?  

Flügel-Anhalt: Oh, doch. Im Pamir-Gebirge zum Beispiel herrschte auf 4500 Metern Höhe ein schweres Schneetreiben. Da hat meine Honda aufgegeben und ich musste sie schieben. In Tadschikistan bin ich gestürzt und habe mir den Fuß verletzt. Bei anderen Stürzen gingen zum Glück nur Brems- und Kupplungshebel zu Bruch. Aber da muss man durch. Gerade Pannen und Probleme zwingen einen, Lösungen zu finden und für Hilfe auf Menschen zuzugehen. Auch im Alter dazuzulernen und seine Kompetenzen zu stärken, ist möglich und wichtig.

Klingt aber auch körperlich ziemlich anstrengend. Wie halten Sie sich fit?

Flügel-Anhalt: Ich gehe regelmäßig ins Fitnessstudio und trainiere dort alle meine Muskeln.Jeden Tag wird zudem gewandert. Denn ich bin oft in großen Höhen unterwegs und brauche dafür starke Lungen und eine gute Ausdauer. Saunagänge helfen, um mit hohen Temperaturen klarzukommen. Und ich tanze und mache Kampfsport. Eins ist ganz klar: Würde ich nur rumsitzen, könnte ich meine Reisen vergessen.Der Körper muss ständig gefordert werden, sonst er baut ab. Mache ich eine Woche lang mal keinen Sport, merke ich das sofort.

Sie haben zahlreiche Ländern bereist und dabei unendlich viel erlebt. Gibt es jedoch so etwas wie eine Quintessenz, eine besondere Erkenntnis, die Sie für sich gewonnen haben?

Flügel-Anhalt: Angesichts der aktuellen Weltlage, mit dem Krieg in der Ukraine oder der Situation in Afghanistan, mag das unverständlich klingen, aber ich habe erlebt, dass die meisten Menschen gut sind und man ihnen vertrauen kann. Egal, welcher Kontinent, welche Kultur oder Religion. Gleichzeitig bekommt man an vielen Stellen auch einen anderen Blick auf das Leben in Deutschland.

Haben Sie ein Beispiel?

Flügel-Anhalt: Nehmen wir das Thema Alter. In Ländern wie Indien oder Pakistan werden viele Menschen gar nicht so alt wie ich. 80, 90 oder gar 100 – bei uns zunehmend die Regel statt die Ausnahme – wird dort so gut wie niemand. Die schlechten Lebensbedingungen beschleunigen den Alterungsprozess. Hat jemand im Pamir-Gebirge einen Herzinfarkt, dann stirbt er. Es gibt keinen Rettungswagen, der in zehn Minuten da ist, und nur Krankenhäuser, die Hunderte Kilometer entfernt liegen. Mit Glück gibt es im Dorf eine Schwester, die eine Spitze setzen kann. Mehr nicht. Da wird man demütig und fragt sich, warum manche hierzulande über alles Mögliche meckern. Im Vergleich dazu haben wir wirklich optimale Voraussetzungen, können uns entwickeln und haben die Chance, gesund zu leben und alt zu werden.

Sind denn schon neue Reisen geplant?

Flügel-Anhalt: Ja, im Sommer soll es mit einem Lada Niva, einem russischen Geländewagen, bis zum Himalaya gehen. Ziel ist der Nanga Parbat, der neunthöchste Berg der Welt. 2023 möchte ich mit dem E-Bike entlang der Donau bis zu ihrer Mündung ins Schwarze Meer und 2024 mit dem Motorrad übers Baltikum bis hinauf zum Nordkap fahren. Klingt viel, aber wenn ich könnte, würde ich noch mehr reisen.

Was hindert Sie?

Flügel-Anhalt: Die Zeit. Wer welche übrig hat, gerne her damit. (lacht) Trotz Ruhestand arbeite ich noch ein wenig, bin ehrenamtlich tätig, habe einen Enkel und einen großen Garten. Aber ich mag es einfach, wenn jeden Tag was los ist. Schon nachmittags vorm Fernseher zu sitzen – nein, danke.

Einfach abgefahren


Was Margot Flügel-Anhalt auf ihren beiden großen Solotouren so alles erlebt hat, davon berichtet sie in ihren Büchern „Über Grenzen“ (DuMont, 14,95 Euro) und „Einfach abgefahren“ (Ullstein, 16,99 Euro). Etappenweise wurde sie zudem von einem Filmteam des SWR begleitet. Die gleichnamigen Dokumentationen sind in der Sendereihe „Reisehelden“ in der SWR-Mediathek verfügbar