Perspektiven in der 2. Lebenshälfte

13.11.2019

„Man kann sich nie zu früh freuen, bloß zu spät“

In ihrem neuen Roman „Es wird Zeit“ widmet sich Autorin Ildikó von Kürthy den Tücken und Chancen des Älterwerdens. Sie selbst sieht dem Alter recht gelassen entgegen.

Frau von Kürthy, Ihr neuer Roman spielt kurz vor dem 50. Geburtstag von Judith, der Hauptprotagonistin. Warum haben Sie gerade diese Lebensphase gewählt?

ILDIKÓ VON KÜRTHY: Ich habe immer über das geschrieben, was mich umgibt, was mich beschäftigt, bewegt, was mich glücklich und unglücklich macht. Früher warteten wir auf Anrufe, heute auf Untersuchungsergebnisse. Mit 30 war das Aufbrechen wichtiger als das Ankommen. Wir hatten noch endlos Zeit und kein Kleid für eine Beerdigung. Ich bin selbst Anfang 50 und umgeben von Frauen, die mit den Veränderungen und den vielen Abschieden umgehen müssen, die in dieser Lebensphase anstehen.

Die Kinder werden selbstständiger, das Bindegewebe geht in den Ruhestand, Eltern werden alt und sterben, die Wechseljahre setzen ein und mit ihnen dieser dramatische Verschrumpelungsprozess des Körpers, der im besten Fall von gleichzeitiger Reifung des Geistes begleitet wird.

Judith steckt mitten in einer Midlife-Crisis und hadert mit so einigem: mit ihrer Ehe, mit dem „Empty Nest“, mit dem Fakt, beruflich nicht ihrem Traum gefolgt zu sein. Denken Sie, die 50 kann auch ein Weckruf sein, sein Leben zu verändern und etwas Neues zu wagen?

VON KÜRTHY: Die 50 ist ein Alter, in dem es sich anbietet, ja geradezu aufdrängt, eine ernsthafte Bilanz zu ziehen. Das Leben verläuft nun seit längerem in den Bahnen, für die man sich vor vielen Jahren entschieden hat. Beziehung, Beruf, Familie, Freundschaften – alles kommt mit uns in die Jahre und wir müssen eine Haltung gegenüber dem Älterwerden finden und uns fragen, ob die alten Wege uns auch in die Zukunft führen können. Will ich so weitermachen wie bisher? Ist das das Leben, das ich bis zum Lebensende führen will? Bei aller Wertschätzung für Ermutigung: Es gibt leider auch Weckrufe, die zu spät kommen.

Zum Beispiel?

VON KÜRTHY: Mit 50 kann man die Zeit mit den kleinen Kindern nicht mehr nachholen, man kann die Zigaretten nicht ungeraucht machen, die einen vielleicht jetzt die Gesundheit kosten, man kann keine Jugendfreundschaften neu schließen und dem verstorbenen Vater nicht mehr die Fragen stellen, die einen heute so sehr plagen. Aber es nutzt wenig, abgefahrenen Zügen nachzuweinen. Auch das erkennt man mit einem gewissen Alter und konzentriert sich darauf, mit den Fehlern der Vergangenheit Frieden zu schließen und das zu ändern, was veränderbar ist.

Judith tut dies. Schließlich hat sie auch Zeit dafür: Eine 50-jährige Frau hat heute im Durchschnitt noch ganze 33 Jahre vor sich – und das statistisch betrachtet größtenteils bei guter Gesundheit.

VON KÜRTHY: Das ist eine große Chance – aber auch eine große Verantwortung dem eigenen Leben gegenüber. Wo man früher längst tot war, beginnt heute das Zweitstudium. Aida statt Urne. Die gewonnenen Jahre müssen ja nun auch irgendwie sinnstiftend gefüllt werden, was nicht immer leicht ist. Man muss sich was einfallen lassen und die Premieren, die das Leben früher automatisch für einen bereit hielt, nun selbst initiieren.

Was ich hoffe, ist, dass sich zukünftige Generationen viel mehr Zeit lassen dürfen für Umwege, Irrwege und Sackgassen. Warum hetzen? Warum sollten Eltern nicht mal drei, vier Jahre komplett für die Kindererziehung aussteigen – und dafür aber bis 75 arbeiten? Warum nicht mit 55 noch mal den Beruf wechseln, weil man noch längst nicht zum alten Eisen gehört?

Vielleicht auch, weil man sich als junger Mensch gar nicht vorstellen kann, was im Alter noch alles möglich ist.

VON KÜRTHY: Ja, meiner Erfahrung nach halten junge Menschen ein Leben jenseits der 50 für nicht mehr lebenswert. Ging mir ja selbst so. Ich dachte, da stünde man bereits mit einem Bein im Grab und hätte keine Grundlage mehr für Leistung, Frohsinn und Glück. Dass es anders ist, und zwar ganz anders, dass die Zufriedenheit zum Beispiel sogar größer wird, das glaubt einem der junge Mensch natürlich nicht.

Kann man sich denn auf das Ältererden vorbereiten, um nicht in ein tiefes Loch zu fallen?

VON KÜRTHY: Ich denke, es kann nicht schaden, schon früh damit anzufangen, ein neugieriger Mensch zu werden und zu bleiben, Beziehungen zu pflegen und das, was man tut, mit Leidenschaft und Verantwortung zu tun. Das Alter kommt sonst ähnlich plötzlich wie Weihnachten. Und dann steht man ohne Geschenke da, hat keine Pute bestellt und ist nirgends eingeladen. Es schadet also nicht, bereits im September zu überlegen, was man mit wem am Heiligen Abend kochen möchte. Und noch etwas: Parallel zum Schreiben des Romans habe ich eine enge Freundinnen beim Kampf gegen ihre Krebserkrankung begleitet. Man kann sich nie zu früh freuen, bloß zu spät – das habe ich dabei gelernt.

Wie war denn Ihr eigener 50. Geburtstag? Party oder Panik?

VON KÜRTHY: Mein 50. war für mich vor allem Anlass zum Feiern. Ein wunderbares Fest mit allen Freunden und Freundinnen, verkleidet nach dem Motto „Die Stars unserer Jugend“. So habe ich mit Pippi Langstrumpf, etlichen Agnethas, Batman, Sissi, Nena, Frida Kahlo und Rambo die Nacht durchgetanzt und mich nochmal wie 17 gefühlt. Am nächsten Morgen jedoch nicht mehr (lacht).

Angenommen Sie folgen der Statistik und werden mindestens 83 Jahre alt: Wie sollen die kommenden gut drei Jahrzehnte im Idealfall aussehen?

VON KÜRTHY: Ich habe nicht vor, als Best Agerin Marathon zu laufen, mit dem E-Bike die Alpen zu überqueren oder zügig durch die Toskana zu wandern. Es ist nicht ausgeschlossen, dass mein Ohrensessel einer meiner bevorzugten Aufenthaltsorte sein wird. (lacht) Ich möchte eine ausgewogene Mischung leben aus Leistung, Muße, Beziehung und Verantwortung. Ich will mir und anderen Gutes tun, ich will meine Kinder auf einen guten Weg bringen, sie auffangen, wenn sie mich brauchen und dann loslassen, wenn es sein muss.

Ich will Bücher, Drehbücher und Theaterstücke schreiben, in denen sich meine Leserinnen bis ins hohe Alter wiederfinden. Ich will runzlig und lustig sein, mich mit meinem Mann um die Fernbedienung zanken, mit meinen Freundinnen Gebisse und Weisheiten tauschen und die Lebensparty rechtzeitig, notfalls auch grußlos verlassen, bevor die Stimmung kippt.

Es wird Zeit

© Rowohlt Verlag

Ildikó von Kürthy, Jahrgang 1968, arbeitet als Journalistin, ist Kolumnistin der Zeitschrift „Brigitte“ und Spezialistin für kluge, komische und warmherzige Unterhaltung. Ihre Bestseller wurden mehr als sechs Millionen Mal gekauft und in 21 Sprachen übersetzt. „Es wird Zeit“ (Rowohlt Verlag, 20 Euro) ist ihr neunter Roman und die Geschichte einer Frau, die sich in der Mitte des Lebens entscheiden muss: Weitermachen oder neu anfangen? Es geht um Schuld und Freundschaft, das Älterwerden und das Jungbleiben, um Liebe und Tod und darum, dass am Ende nichts verloren gehen kann. Termine der Lesereise zum Buch finden Sie hier.