Wandern & Pilgern

14.05.2018

Es ist nie zu spät für den Jakobs­weg

Wandern in Deutschland boomt. Besonders aktiv sind Menschen ab 50. Wenn Tagestouren nicht genügen, begeben sie sich auf Pilgerfahrt.

© traveldia / stock.adobe.com

Traumziel Jakobsweg: Unabhängig vom Alter zieht es immer mehr deutsche Wanderer auf den geschichtsträchtigen Pfad.

Angela Merkel mag es und Frank-Walter Steinmeier ebenso. Die Regierungschefin und das Staatsoberhaupt Deutschlands gehen gern wandern – so es ihre Zeit zulässt. Beide frönen damit einem weitverbreiteten Hobby. Denn die Deutschen sind ein Volk von Wanderern, 69 Prozent der erwachsenen Bevölkerung streifen laut Wanderstudie von 2014 wenigstens hin und wieder durch die Lande, 2010 lag der Anteil erst bei 56 Prozent

Wandern liegt im Trend. Natur erleben, Stress abbauen, Kraft tanken, vom Alltag abspannen – das sind die Motive, die immer mehr Menschen ins Freie treibt. „Der entschleunigende und stressabbauende Aspekt wird immer wichtiger. Das hat mit dem Wandel der Gesellschaft zu tun und dem Tempo, das wir im Arbeitsalltag inzwischen haben“, erklärt Ute Dicks, Geschäftsführerin vom Deutschen Wanderverband, die neue Lust an Streifzügen durch Wälder, Wiesen und Gebirge.

Menschen ab 50 sind die aktivsten Wanderer

Und je älter die Menschen, desto häufiger und länger sind sie unterwegs. „Wandern ist eine Tätigkeit, die mit zunehmendem Alter immer intensiver ausgeführt wird“, heißt es vom Wanderverband. Am höchsten ist die Begeisterung bei Menschen zwischen 50 und 65. Etwa 6,7 Millionen Deutsche dieser Altersgruppe gelten als „wanderaffin“, damit bilden sie die stärkste Fraktion. Der Anteil der Vielwanderer und Personen, die regelmäßig unterwegs sind, ist indes in der Altersklasse 65 bis 74 am höchsten.

Dass vor allem die Generation 50plus so aktiv ist, hat mehrere Gründe. Die Kinder sind aus dem Haus und kein „Bremsklotz“ mehr auf längeren Touren. Ältere haben zudem mehr Zeit ein etwas größeres Interesse an der Natur als Jüngere. Auch die Beweggründe unterscheiden sich ein wenig. Während die Jüngeren eher losziehen, um Spaß zu haben oder dem Alltag zu entfliehen, steht bei den Älteren der Gesundheitsaspekt im Vordergrund.

Wandern als Gesundheitsvorsorge

Und für die körperliche Fitness ist Wandern geradezu ideal, wie wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen. Schon nach einer vergleichsweise kurzen Phase, in der Menschen sich regelmäßig bewegen, verringern sich Körpergewicht, Blutdruck und Körperfett signifikant. Außerdem werden Ausdauerleistungsfähigkeit und Koordinationsfähigkeit verbessert.

Ein weiteres Argument, das auf speziell auf das Konto älterer Wanderer einzahlt: Schon 3000 Schritte täglich mehr genügen, um das Risiko für Arterienverkalkung und damit für Herzinfarkt sowie Schlaganfall zu reduzieren. Schließlich verbessert regelmäßiges Wandern gerade bei Hochbetagten Kraft, Ausdauer und Trittsicherheit, verringert das Sturzrisiko und steigert nicht zuletzt die Leistungsfähigkeit.

Tourismusregionen setzen auf ältere Zielgruppe

Die Tourismusbranche setzt auf die wanderaffine ältere Zielgruppe und lässt sich einiges einfallen. So gibt es sogenannte Gesundheitswanderungen, die von bundesweit über 600 zertifizierten Führern angeleitet werden. Das können Ranger sein oder Mitarbeiter von Forstbetrieben. Beim Gesundheitswandern werden kurze Strecken mit gymnastischen Übungen kombiniert. Diese sollen beweglich machen, kräftigen und entspannen. Teilweise erstatten sogar die Krankenkassen die Gebühren.

Dazu kommen immer mehr barrierearme oder gar barrierefreie Wanderwege, die für Menschen mit körperlichem Handicap gut geeignet sind. „Barrierefrei ist ein Wanderweg im Grunde, wenn er asphaltiert ist und nicht mit einer größeren Steigung aufwartet“, erklärt Christian Resow, Geschäftsstellenleiter beim Wanderverein Harzclub. Sein Verein hat gerade einen barrierefreien Rundwanderweg in Neustadt im Südharz eingeweiht.

Alter ist kein Hindernis für die Langstrecke

Weil die Deutschen immer älter werden und länger fit bleiben, nehmen viele Menschen über 60 aber selbst noch Mehrtagestouren in Angriff. Fernwanderwege, deren Zahl in Deutschland stetig zunimmt, werden immer beliebter. Gleiches gilt für Wallfahrten zu christlichen Pilgerstätten. Historisch betrachtet liegen im Pilgern auch die Wurzeln des Wanderns.

Einen regelrechten Pilger-Boom löste der Fernsehstar Harpe Kerkeling aus: In seinem Bestseller „Ich bin dann mal weg“ von 2006 beschreibt der heute 55-Jährige die Abenteuer, die er auf seinen 630 Kilometern auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela erlebte. Seitdem eifern ihm etliche Menschen nach, um die Erfahrung auf der Langstrecke wenigstens einmal im Leben am eigenen Leib zu spüren – oft eher aus sportlichen denn aus religiösen Motiven heraus. Unter den Pilgern sind auch viele Ältere. Erreichten im Jahr 2005 reichlich 10.000 über 60-Jährige das Ziel in Santiago, so waren es 2018 schon fast 59.000 – darunter unzählige Deutsche.

Für solch ein wochenlanges Abenteuer braucht es aber nicht nur eine gute Fitness, sondern vor allem sehr viel Zeit. Angela Merkel oder Frank-Walter Steinmeier wird man daher so bald nicht auf dem Jakobsweg begegnen.